Wie der FC Zürich zu einem Trikotsponsor aus dem Dunstkreis der organisierten Kriminalität kam. Und wer hinter dem Millionengeschäft mit den illegalen Glücksspielseiten steckt.

Diese Geschichte beginnt am 26. Januar 2021 um 9.54 Uhr mit einer anonymen E-Mail. Darin steht: Der damalige Trikotsponsor des FC Zürich, eines der grössten Fussballvereine der Schweiz, sei eine Scheinfirma. In Wahrheit stecke «organisierte Kriminalität im Glücksspiel» dahinter, das Ganze sei ein «gefährliches Spiel», bei dem es um Millionen gehe. Und: «Eine Schlagzeile, die man nicht so schnell vergessen wird – man bedenke all die involvierten Parteien.»

Die Person will uns im Rahmen eines eines persönlichen Treffens zusätzliche Informationen liefern. Doch einen Tag zuvor sagt sie ab. Und meldet sich danach nie wieder.  So beginnt eine Recherche, bei der immer wieder Leute auftauchen und verschwinden. Informanten, die zwar mit uns reden und dann doch nicht wollen, sich aus Angst wieder zurückziehen. Angst, dass ihnen etwas passiert.

Während den vergangenen zwanzig Monaten sind wir den brisanten Vorwürfen aus dem anonymen E-Mail gemeinsam mit dem Team von SRF Investigativ nachgegangen. Unsere Erkenntnisse publizieren wir an dieser Stelle sowie im dreiteiligen SRF-Podcast «Der Fall Antepay».

Die Karte

Im Juli 2019 präsentiert der FC Zürich nach dreijähriger Durststrecke endlich wieder einen Hauptsponsor. In den zwei folgenden Saisons prangt der schwarz-orange Schriftzug der Bezahlkarte AntePAY auf den Trikots der Spieler – gut sichtbar für hunderttausende Menschen im Stadion und vor dem Fernseher.

Offiziell funktioniert das AntePAY-Geschäftsmodell so: Der Kunde oder die Kundin kauft physisch oder digital eine Karte mit Guthaben drauf. Damit lässt sich mittels aufgerubbeltem Zahlencode anonym in ausgewählten Online-Shops bezahlen. AntePAY erhält dafür vom Shop-Anbieter eine Gebühr.

Doch was die FCZ-Verantwortlichen bei Abschluss des Sponsoring-Deals nicht wissen: AntePAY ist keine gewöhnliche Bezahlkarte. Sie wurde als Zahlungsmittel für illegales Glücksspiel verwendet.

Unsere Recherche zeigt: Einerseits konnten mit AntePAY-Karten Einzahlungen auf illegalen Glücksspielseiten wie solobet.com oder sporwin.com vorgenommen werden. Andererseits dienten die Karten als Zahlungsmittel in physischen Lokalen, in denen illegal um Geld gespielt wurde. Das belegen Strafbescheide, Einstellungsverfügungen oder Beschlüsse, in die wir Einsicht verlangt haben.

In einem Urteil vom Januar 2020 heisst es:

Das Korps führte am Dienstag, 16. Juli 2019, 18.15 bis 19.15 Uhr, eine Kontrolle durch. Zwei Polizeibeamte betraten das Lokal über eine Treppe zur leicht unter dem Strassenniveau gelegenen Eingangstüre. (…) Von ausserhalb der Liegenschaft hatte man keinerlei Möglichkeiten, ins Innere des Spielsalons zu sehen. Videokameras überwachten sowohl den Eingangsbereich wie auch den ganzen Spielsalon und übertrugen die Bilder in den Kassenbereich. Im Lokal herrschte reger Betrieb. 

Die Polizeibeamten beobachteten, wie aus der Kasse Wertkarten der Marke „AntePAY“ verkauft wurden. (…) Sie nahmen wahr, wie Spieler der Bardame Geld gaben, diese Gutschriftskarten der Marke „AntePAY“ hinter dem Tresen der Kasse hervorholte und der Spieler bei einer solchen Karte von Hand einen Code freirubbelte. (…) Gäste bespielten auf Computern die Internetseite „Solobet10“. Gäste sagten auch aus, mit den AntePAY-Karten sei Kredit auf die Internetseite „Solobet10“ geladen worden.

Weder in diesem noch in einem anderen Urteil werden AntePAY oder die dafür verantwortliche Firma verurteilt. Denn theoretisch wäre es möglich, dass jemand die Bezahlkarte ohne deren Wissen missbraucht hat. Hätte AntePAY hingegen wissentlich technische Mittel für illegales Glücksspiel zur Verfügung gestellt, wäre das mit bis zu drei Jahren Gefängnis strafbar. Es stellt sich also die Frage: Wurde die Bezahlkarte erfunden, um illegales Glücksspiel zu ermöglichen? Oder gab es dahinter ein legales, funktionierendes Geschäftsmodell?

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«Nur für Glücksspiele»

Ein Spieler, der im oben erwähnten Urteil zu Wort kommt, äusserte sich gegenüber den Behörden folgendermassen zu AntePAY: «Wenn du das gekauft hast, kannst du Casinospiele, Poker, Roulette, Black Jack, Sportwetten (…). Ich kann nichts damit einkaufen, das ist nur für Glücksspiele.»

Wir haben uns also die legalen Online-Shops, auf denen angeblich mit AntePAY bezahlt werden konnte, genauer angeschaut. Zum Zeitpunkt des FCZ-Deals gab es laut Produktseite nur sechs solcher Akzeptanzstellen. Diese hiessen etwa JumboJewel, Happy Handy oder Sweet Date und existieren heute nicht mehr. Später kamen zwölf neue Akzeptanzstellen dazu. Zwei davon gibt es nicht mehr, weitere zwei haben keinen Onlineshop und von den restlichen Firmen haben uns fünf Auskunft gegeben. Fazit: Keine von ihnen hat je einen Franken Umsatz mit AntePAY gemacht. Die meisten kannten das Produkt nicht einmal.

Dazu passen die Erfahrungen, welche FCZ-Fans in einem Fan-Forum kurz nach Bekanntgabe des Sponsoring-Deals beschrieben. Einer hatte AntePAY mehrere Mails geschickt, um herauszufinden, wo man die Karte kaufen kann. Eine Antwort blieb aus. Jemand versuchte über die Firmen-Hotline mehr Informationen zu erhalten – ebenfalls erfolglos.

Wie also hat dieses Unternehmen, dessen offizielles Geschäftsmodell es ist, dass Leute die Karte kaufen, um damit in Online-Shops zu bezahlen, je Umsatz gemacht? All unsere Erkenntnisse weisen darauf hin: Hinter AntePAY gab es nie ein legales, funktionierendes Geschäftsmodell.

Mit diesem Vorwurf haben wir die DSCnet AG, die Firma hinter AntePAY, konfrontiert. Und wir haben sie gefragt, ob sie belegen kann, dass sie über legale Wege Umsatz gemacht hat. Obwohl wir mehrfach und auf verschiedenen Wegen versucht haben, jemanden zu erreichen, erhielten wir keine Rückmeldung. Nur Giancarlo Tottoli, der die Firma gegründet hat und zum Zeitpunkt des FCZ-Deals alleiniger Verwaltungsrat war, meldete sich. Er bestreitet die Vorwürfe und schreibt: «Als Zahlungsdienstleistungsunternehmen unterstanden wir der Kontrolle der Aufsichtsbehörde. Dies bedeutet auch, dass wir beaufsichtigt und immer wieder geprüft wurden. Eine illegale Tätigkeit ist von daher im Vornherein ausgeschlossen.» Ausserdem könne man belegen, dass AntePAY über legale Online-Shops Umsatz gemacht habe. Konkrete Namen nennt Tottoli auf Nachfrage keine. Er schreibt nur: «Auch darüber haben wir der Aufsichtsbehörde Bericht erstattet.»

Den Vorwurf, dass AntePAY dazu entwickelt wurde, illegales Glücksspiel zu ermöglichen, weist er zurück. Die Tatsache, dass die Karte als Zahlungsmittel für illegales Geldspiel verwendet werden konnte, erklärt er folgendermassen: «Es gab nie illegale Geschäftstätigkeiten.» Es sei aber möglich, dass AntePAY über externe Transaktionsabwickler auf ausländischen – und damit in der Schweiz illegalen – Glücksspielseiten gelandet sei.

Dieser Version widerspricht eine gut informierte Person, die das System AntePAY seit Jahren kennt. Dieser Informant, dessen Identität wir kennen und den wir zu seinem eigenen Schutz anonymisieren, sagt: «Es war alles nur ein Trick. Wer hat Schmuck gekauft?  Wer hat ein Hotel gebucht mit der AntePAY-Karte? Niemand. Diese Karte haben alle nur für Siskowin oder Solobet gebraucht.»

Siskowin.com und solobet.com sind Webseiten, auf denen in der Schweiz illegales Glücksspiel angeboten wird und die auch für illegales Glücksspiel in Lokalen benutzt wurden. Sie sind Teil eines Millionengeschäfts, dessen Umfang sich nur grob abschätzen lässt.

Die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK), die für die Verfolgung illegaler Spielbankenspiele zuständig ist, nimmt zum konkreten Fall nicht Stellung. Andrea Wolfer, Leiterin der Abteilung Untersuchung ordnet aber ein und sagt, dass AntePAY nur ein kleines Rädchen in einer millionenschweren Maschinerie sei. Es gebe mehrere Netzwerke, die in der Schweiz illegales Glücksspiel anbieten – und teilweise Umsätze im Bereich mittelgrosser Casinos erwirtschafteten. «Wir hatten einen Fall, da hat eine Einzelperson vermutlich auf zweitoberster Stufe drei Millionen Franken Gewinn gemacht», sagt Wolfer. Die Netzwerke seien pyramidenförmig aufgebaut – vom Betreiber des Lokals, in dem gespielt wird, bis hin zum Boss, der nicht selten im Ausland sitze. Diese komplexe Struktur sowie der Umstand, dass die Glücksspielseiten oft im Ausland registriert sind, erschweren die Ermittlungen der Behörden. Weil sie einen Anknüpfungspunkt in der Schweiz benötigen, konzentrieren sie sich in erster Linie auf physische Glücksspiellokale.

Allein mit dem illegalen Online-Glücksspiel jedoch soll laut Casinoverband Schweiz jährlich ein dreistelliger Millionenbetrag umgesetzt werden. Anders als bei konzessionierten Anbietern wird dieses Geld nicht versteuert, wodurch dem Staat Millionen entgehen. Zudem werden die Gewinne laut Andrea Wolfer von der ESBK oft für die Finanzierung von Schwerstdelikten wie Menschen- oder Drogenhandel verwendet.

Aus diesem Dunstkreis sollen Millionen an den FC Zürich und damit in den Schweizer Fussball geflossen sein.

Der FCZ & Gecko

Mit unseren Recherchen konfrontiert, sagt FCZ-Präsident Ancillo Canepa: «Wenn der FCZ für eine Firma Werbung macht, dann verlässt man sich drauf, dass das eine seriöse Firma ist.» Integrität sei ihm wichtig, er habe auch schon zwielichtige Sponsoring-Angebote abgelehnt. «Deshalb ist es im Nachhinein für mich sehr ärgerlich, wie es gelaufen ist.» Normalerweise prüfe der Verein die Sponsoren selber. In diesem Fall habe man sich aber auf die Expertise der externen Sportvermarktungsfirma InfrontRingier Sports & Entertainment verlassen, welche zu diesem Zeitpunkt für die Gesamtvermarktung verantwortlich war und den Deal abgeschlossen hat.

Ringier schreibt auf Anfrage: «Aus damaliger Sicht sprach nichts gegen diesen Vorschlag und InfrontRingier ist all ihren vertraglichen Verpflichtungen aus der Vereinbarung mit dem FC Zürich nachgekommen.» InfrontRingier habe nichts vom Bezug der AntePAY-Karte zum illegalen Glücksspiel in der Schweiz gewusst. Ausserdem habe der FCZ ein Vetorecht bei der Wahl des Sponsors gehabt.

Ancillo Canepa sagt: «Im Nachhinein muss ich sagen: Man sollte sich nie auf Drittparteien verlassen.» Heute würde er die Firma selbst überprüfen. Umso mehr, als dass die DSCnet AG dem Verein laut Canepa noch mehrere hunderttausend Franken schuldet. So zumindest formulierte es der FCZ-Präsident im Gespräch Ende August 2022. Ungefähr einen Monat später, nachdem wir alle Beteiligten mit den Vorwürfen konfrontiert haben, schreibt er: «Ich kann Ihnen vermelden, dass AntePAY in der Zwischenzeit ihre Verpflichtung beglichen hat.» Das Geld sei an den Vermarkter überwiesen worden.

Die DSCnet AG, welche die AntePAY-Karte herausgegeben hat, befindet sich zum Zeitpunkt der Publikation dieses Artikels in Liquidation. Das Konkursverfahren wurde Ende September 2021 eröffnet. Dem Tagesanzeiger sagte Giancarlo Tottoli im April 2021: «Ich will kein Corona-Jammerer sein, doch Corona hat uns das Genick gebrochen.» Mit den geschlossenen Läden seien die Einnahmen zusammengebrochen.

Eine neue Karte taucht auf

Ist diese Geschichte damit also zu Ende? Nicht ganz. Denn fast zeitgleich mit dem Verschwinden von AntePAY taucht eine neue Bezahlkarte auf: die Gecko Card. Zwar sind andere Personen verantwortlich und die Firmenadressen sind verschieden, doch Produkte und Webseiten ähneln sich stark. Und: Auch mit der Gecko Card kann man auf der in der Schweiz illegalen Glücksspielseite solobet.com einzahlen. Zudem fanden wir auf der Webseite der Gecko Card einen Artikel, welcher eins zu eins von der AntePAY-Seite übernommen worden war – nur den Namen der Karte hatte man angepasst. So steht da etwa, die Gecko Card sei Hauptsponsor des FC Zürich und Giancarlo Tottoli sei Verwaltungsratspräsident der verantwortlichen Firma Swiss Gecko AG. Mit diesem Umstand konfrontiert, schreibt das Unternehmen: «Mit der Software hat unser technischer Partner offenbar auch einen Teil der Content-Datenbank für die Swiss Gecko AG wiederverwendet. Dies geschah ohne unser Wissen und war uns bis heute auch nicht bekannt, erklärt jedoch den irreführenden Blog-Eintrag. Der Inhalt stimmte in keiner Weise und der Eintrag wurde gelöscht.»

Unsere Recherchen zeigen jedoch, dass es noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen der Gecko Card und AntePAY gibt. Wir haben eine Person, die sich im Milieu des illegalen Glücksspiels auskennt, in ein Lokal geschickt, in dem man früher die AntePAY-Karte kaufen konnte. Die Verkaufsperson sagte ihm: AntePAY gebe es nicht mehr, er könne aber die Gecko Card kaufen. Das sei dasselbe – auch damit könne er auf solobet.com spielen.

Wieder stellt sich also die Frage: Wurde die Gecko Card dafür konzipiert, illegales Glücksspiel zu ermöglichen? Oder gibt es dahinter ein legales, funktionierendes Geschäftsmodell?

Wie AntePAY wirbt auch Gecko Card auf der Webseite mit Online-Shops, welche die Karte angeblich akzeptieren. Nur: Diesmal sind es Dutzende seriöse Unternehmen in der ganzen Schweiz – vom Gewürzlädeli über Caritas bis hin zu Adelbodner Mineralwasser. Also haben wir eine Stichprobe von mehr als zwanzig Firmen kontaktiert und sie gefragt, ob sie je Umsatz mit der Gecko Card gemacht haben. Die Antworten waren dieselben wie bei AntePAY: Niemand hat je einen Franken über die Bezahlkarte verdient. Die meisten haben noch nie vom Produkt gehört.

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, schreibt der Geschäftsführer der Firma: «Swiss Gecko AG ist ein gesundes Unternehmen mit einem legalen Geschäftsmodell, welches auf soliden Beinen steht und funktioniert.» Auf unsere Frage, warum Gecko Card Läden auflistet, die gar nichts von Gecko wissen, schreibt einer der Verantwortlichen, dass die Anpassung der Online-Shops auf der Webseite manuell erfolge und es dabei zu Verzögerungen kommen könne:  «Es kann also sein, dass die neuen Akzeptanzstellen noch nicht auf der Webseite der Gecko Card sichtbar sind, und dafür noch Akzeptanzstellen, die sich bereits abgemeldet haben. Wir prüfen aber laufend, ob die Liste der auf unserer Webseite aufgeführten Akzeptanzstellen noch aktuell ist. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Liste korrekt und mit kleinen Verzögerungen aktuell und vollständig ist.»

Wir wollten von der Swiss Gecko AG auch wissen, ob sie uns bestimmte Online-Shops nennen könne, über die sie Umsatz generiert hat. Und ob sie das belegen könne. Dazu heisst es nur, ja, man könne es belegen: «Die Swiss Gecko AG übermittelt die Umsatzzahlen an die zuständige Aufsichtsbehörde.» Auf die konkrete Nachfrage, ob sie uns zur Entlastung vertraulich Einsicht in die Umsatzzahlen geben würden oder auch nur einen einzigen Shop nennen könnten, über den die Firma Umsatz gemacht hat, schreibt Swiss Gecko: «Angaben zu Umsatzzahlen, betriebsorganisatorischen Themen sowie Vertragspartnern teilen wir regelmässig mit der Selbstregulierungsorganisation und den zuständigen, autorisierten Stellen, geben diese aber nicht öffentlich bekannt.»

Weiter bestreitet die Firma, dass es eine wirtschaftliche oder personelle Beziehung zwischen Gecko Card und AntePAY gebe. Lediglich die technische Infrastruktur stamme vom gleichen Software- Dienstleister. Aus einer rein technischen Sicht könne man daher zum Schluss kommen, dass es sich um ein Nachfolgeprodukt handelt.

Es treffe aber nicht zu, dass die Gecko Card in physischen Lokalen und auf illegalen Glücksspielseiten als Bezahlmittel verwendet werde, so das Unternehmen: «Es ist technisch nicht möglich, dass die Karte ausserhalb unserer Shops und Partner eingesetzt wird. Vor diesem Hintergrund ist ein Einsatz der Gecko Card als Bezahlkarte für illegales Glücksspiel unmöglich.» Als beaufsichtigter Zahlungs-Provider betreibe die Swiss Gecko AG Dienstleistungen im Einklang mit der für sie geltenden Schweizer Gesetzgebung: «Einem illegalen Einsatz der Karte bieten wir keine Hand.»

Allerdings: Wir konnten mehrfach nachweisen, dass mit der Gecko Card auf der in der Schweiz illegalen Glücksspielseite solobet.com Einzahlungen getätigt werden können. Im Grundsatz funktionieren AntePAY und GeckoCard also gleich. Das Zahlungsmittel wechselt, die illegalen Glücksspielseiten wie Siskowin und Solobet bleiben dieselben.

Der Boss

Doch wer steckt hinter dem eigentlichen Millionengeschäft? Diese Frage stellt sich Roman Nesshold, Leiter des österreichischen Institut Glücksspiel & Abhängigkeit, seit Längerem. Denn seine Beratungs- und Therapiestelle für Glücksspielsüchtige taucht auf mehreren der illegalen Glücksspielseiten als einzige Kontaktadresse auf. «Die haben auf ihrer Webseite keinerlei Kontaktdaten, gaben aber unter Spielerschutz frecherweise unsere Adresse an», sagt Nesshold. Die Folge davon: Dutzende Personen aus der Schweiz, die sich über verschwundene Einzahlungen und nie erhaltene Auszahlungen beschweren wollten, meldeten sich beim Institut. «Die Hilferufe, die uns erreichen, hegen den Verdacht, dass es sich um eine sehr kriminelle und dubiose Geschichte handelt», sagt Roman Nesshold. Herausfinden, wer die Seiten betreibt, konnte er jedoch nicht. Das Problem dabei: «Die Glücksspielunternehmen müssen die moralische Verantwortung übernehmen, diese potenziell suchterzeugenden Produkte anzubieten», so Nesshold. «Und man muss sie dazu bringen, die Gesetze einzuhalten. Deshalb müssen wir wissen, wer dahintersteckt.»

Unsere Recherchen zeigen, dass solobet.com, siskowin.com und viele andere Glücksspielseiten von einem Mann namens Braulio Guzman in Costa Rica registriert worden sind. Dort jedoch verlaufen sich die Spuren. Das ist auch das Problem der Schweizer Behörden: Sie können gegen die illegalen Glücksspielseiten nur wenig unternehmen, weil sich meistens sowohl die Server als auch die verantwortlichen Personen im Ausland befinden. Seit 2019 das neue Geldspielgesetz in Kraft getreten ist, können sie zumindest den Zugang aus der Schweiz auf die betreffenden Seiten sperren. Doch die Behörden aktualisieren die Liste der gesperrten Seiten nur zweimal im Jahr und die Anbieter des illegalen Glücksspiels erstellen einfach immer neue Adressen: aus siskowin1.com wird siskowin2.com, aus solobet15.com wird solobet16.com, und so weiter.

Wir haben mehrere Mail-Adressen gefunden, über die wir die Verantwortlichen der Seiten kontaktiert und um eine Stellungnahme gebeten haben. Ohne Erfolg. Dann, im Juli 2022, erhalten wir den Kontakt eines weiteren Informanten. Es ist einer, der für die Organisation hinter Siskowin und Solobet gearbeitet hat. Er weiss, wie die Seiten entstanden sind. Und vor allem: wer sie gross gemacht hat.

Ihm zufolge steckt ein Mann aus dem Kanton Zürich hinter dem illegalen Millionengeschäft. Dieser Boss habe ein Lokal in der Stadt betrieben, in dem alles angefangen habe: «Bevor Siskowin entstanden ist, hat er andere Seiten verwendet in seinem Lokal. Nicht als Seitenbesitzer sondern als Lokalinhaber», sagt der Informant. Der Boss habe jedoch schnell begriffen, dass sich das nicht wirklich lohnt. Dass man eigene Glücksspielseiten betreiben muss, um richtig viel Geld zu machen. Also habe er sich eine entsprechende Software machen lassen und fortan eigene Spiele in seinem Lokal angeboten. Und von da habe sich das Netzwerk verbreitet: «Das Lokal war der Ground Zero. Wir haben uns dort getroffen, dort abgerechnet, dort geredet, dort geschimpft, dort gelacht», sagt der ehemalige Mitarbeiter.

Laut ihm habe es der Boss geschafft, ein grosses Netzwerk über mehrere Kantone aufzubauen – mit IT-Spezialisten, Geldeintreibern und dutzenden zumeist türkischen Lokalen, in denen Leute viel Geld verspielt haben. Zudem habe der Boss früh gemerkt, dass immer mehr Leute auf ihren Smartphones spielen wollen – und dafür mit den illegalen Glücksspielseiten die Voraussetzungen geschaffen. Zeitweise habe das Netzwerk rund um die Webseiten Siskowin und Solobet mehrere Millionen Franken pro Monat umgesetzt.

Wo sich der Boss aktuell aufhält, weiss der Informant nicht. Es gibt aber zahlreiche Hinweise, dass er das Netzwerk aus der Schweiz führt. So hat er einen Schweizer Wohnsitz, hatte hier eine Firma registriert und besass mehrerer Telefonnummern. Wir haben ihn auf alle möglichen Arten versucht zu erreichen – ohne Erfolg. Wir haben sogar gemeinsam mit dem Schweizer Fernsehen SRF das Lokal in Zürich besucht und nach dem Boss gefragt. Die Personen vor Ort wollten uns nicht sagen, wie wir ihn erreichen können, liessen uns telefonisch aber mit seinem Bruder sprechen. Dieser teilte uns mit, dass er selbst für das Lokal verantwortlich sei – eine Information, die wir nicht unabhängig überprüfen können.

Klar ist: Das System, aus dem mutmasslich Millionen in den Schweizer Fussball geflossen sind, läuft weiter. Die Spielsüchtigen leiden, der Staat verliert Millionen – und die Verantwortlichen sind nach wie vor auf freiem Fuss. Das sagt auch der Mann, der für die Organisation gearbeitet hat: «Die Leute sind noch in der Schweiz. Sie fahren Luxus-Mercedes oder noch teurere Maschinen. Und wenn sie in die Türkei kommen, um Ferien zu machen, tragen sie goldene Ketten.»

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Hintergrund & Credits

Am Fall AntePAY arbeiteten wir über einen Zeitraum von zwanzig Monaten, werteten Gerichtsurteile, Datenbanken und Netzwerke aus, sprachen mit zahlreichen Expert:innen sowie Informant:innen und versuchten so zu verstehen, wie die Bezahlkarte AntePAY mit illegalen Glücksspielseiten wie Siskowin oder Solobet zusammenhängt. Daraus entstanden sind dieser Text, ein dreiteiliger Podcast, ein TV-Beitrag sowie viele Fragen für weitere Recherchen.

An Recherche und Produktion beteiligt waren folgende Personen:

Christian Zeier

Recherche & Text

SRF Investigativ

Mitarbeit Recherche

Raphaël Günther

Podcast-Host

Céline Raval

Podcast-Produktion

Fiona Endres

Podcast-Produktion

Valentin Felber

Produktion

Stirling Tschan

Webdesign

Gabulin

Illustration