Banken, Versicherungen und Immobilienfirmen besitzen immer mehr Wohnungen in Schweizer Städten. Am Beispiel von Zürich zeigen wir erstmals auf, wer die grössten Besitzer/innen sind. Und wie sich ihr Einfluss auf die Mietpreise auswirkt.
Unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse
- Ausser den Behörden weiss niemand, wem die Wohnungen in Zürich gehören. Das Grundbuch ist nicht vollständig digitalisiert und Anfragen sind nur unter erschwerten Bedingungen möglich.
- REFLEKT zeigt erstmals auf, wer die mutmasslich grössten Wohnungsbesitzer/innen sind. Dominiert wird der Markt vom Versicherungskonzern Swiss Life, dem mit 5000 Einheiten jede 50. Wohnung in Zürich gehört. Dahinter folgen die Grossbanken Credit Suisse und UBS sowie der Versicherungskonzern AXA.
- Die Swiss Life hat ihren Wohnungsbesitz in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Eine immer wichtigere Rolle spielen auch reine Immobilien-Firmen wie die Fundamenta AG (2006 gegründet), die Swiss Finance & Property Group (+650%) oder die Mobimo Holding (+460%).
- Die Zunahme der Unternehmen und ihre Investitionen in den Wohnungsmarkt tragen dazu bei, dass die Mieten in der Stadt Zürich stark steigen. Sie befeuern Aufwertung und Gentrifizierung.
- Doch die Ursachen der Aufwertungsspirale liegen tiefer. Seit Jahrzehnten wollen mehr Menschen in Zürich wohnen als Wohnraum verfügbar ist. Dieses Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot treibt die Preise in die Höhe.
Berlin, Amsterdam, London – in Europas Metropolen kaufen Unternehmen immer mehr Wohnungen auf. Die grösste Stadt der Schweiz ist da keine Ausnahme: Kommerzielle Wohnungsbesitzer/innen haben in Zürich während der letzten 15 Jahre stark zugelegt. 2006 lag der Anteil von Unternehmen, Pensionskassen und Anlagestiftungen am gesamten Wohnungsbestand noch bei 22 Prozent, Ende 2020 waren es bereits 28 Prozent. Von den 25’000 neuen Wohnungen, die seither entstanden sind, gehen 20’000 auf das Konto der Kommerziellen.
Doch wo liegen diese Wohnungen? Und wem gehören sie? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es Geld, Zeit und nochmals Zeit.
Die Stadt Zürich hinkt bei der Digitalisierung des Grundbuchs hinterher. Wer wissen will, wem ein Haus gehört, muss eines der elf Stadtzürcher Grundbuchämter per Mail oder Telefon kontaktieren und darf dann nur eine limitierte Anzahl Anfragen stellen, die sich auf spezifische Grundstücke beziehen müssen. Manche dieser Auskünfte sind kostenpflichtig, personenbezogene Anfragen sind nicht möglich.
Zum Vergleich: Andere europäische Metropolen legen deutlich mehr Wert auf Transparenz. Und in Schweizer Städten wie Basel, Bern oder Schaffhausen ist zumindest das Grundbuch digitalisiert. Anfragen können dort einfacher gestellt werden, was Lokalmedien wie «Bajour», der «Bund» und die «Schaffhauser AZ» genutzt haben, um Licht ins Dunkel des Immobilienmarktes zu bringen. Im Kanton Zürich hingegen waren Anfang November 2020 erst etwas mehr als 40 Prozent aller Grundstücke digital erfasst. Laut einer Erhebung des Zürcher Stadtmagazins «tsüri.ch» liegt der Kanton damit landesweit auf dem letzten Platz.
«Von den Behörden abgesehen, weiss niemand, wem wie viele Wohnungen gehören», sagt Donato Scognamiglio, Professor für Immobilienwirtschaft an der Uni Bern und Geschäftsführer des Immobilien-Beratungsunternehmens IAZI. Aus diesem Grund haben wir mit Fachpersonen gesprochen, zahlreiche Berichte gelesen und Publikationen analysiert, um eine Liste der potenziell grössten Wohnungsbesitzer/innen der Stadt zu erstellen. Basierend auf dieser Liste versuchten wir herauszufinden, wie viele Wohnungen die Unternehmen tatsächlich besitzen. Wir wollten von ihnen wissen, wie sich ihr Portfolio in der Stadt in den letzten 15 Jahren verändert hat – und wo sich ihre Immobilien befinden. Mehrere der ganz grossen Firmen sind von sich aus sehr transparent, andere gaben uns auf Anfrage Auskunft und eine kleine Gruppe weigerte sich gänzlich, Transparenz zu schaffen (siehe Artikel So (in)transparent sind die Immobilien-Firmen). Die Pensionskasse Profond, die Zürcher Kantonalbank, Coop sowie die Versicherungsgesellschaften Swiss Re und Baloise gaben nicht einmal bekannt, wie viele Wohnungen sie aktuell besitzen – sie könnten daher ebenfalls zu den grösseren Immobilien-Besitzer/innen der Stadt gehören.
Aller Widrigkeiten zum Trotz konnte REFLEKT in monatelanger Arbeit die bisher umfangreichste, zu journalistischen Zwecken erstellte Adressdatenbank zum Immobilienbesitz in Zürich erstellen.
Werde Teil der Recherche! Wir bei REFLEKT investieren viel Zeit und Geld, um Missstände aufzudecken und Transparenz zu schaffen. Nur mit deiner Unterstützung können wir diese Arbeit weiterführen.
REFLEKT ist gemeinnützig. Alle Beiträge sind steuerlich absetzbar.Unsere Recherche zeigt, dass der Zürcher Wohnungsmarkt von einer Versicherung und zwei Banken dominiert wird. Die Swiss Life Gruppe, der grösste Versicherer der Schweiz, besitzt laut eigenen Angaben rund 5000 Wohnungen in Zürich. Die UBS und die CS besitzen über mehrere Fonds, Anlagestiftungen oder betriebsinterne Pensionskassen fast 3700, respektive 2400 Einheiten. Dahinter folgen Pensionskassen (Migros, Kanton Zürich), Anlagestiftungen, weitere Versicherungen sowie Immobilien-AGs. Den zehn grössten von uns identifizierten Wohnungsbesitzer/innen gehören etwa 9 Prozent aller Wohnungen in Zürich.
Von den rund 20 identifizierten Immobilien-Unternehmen haben fast alle signifikant zugelegt. Ausreisser sind die Pensionskasse des Bundes Publica, die heute nur 16 Wohnungen mehr besitzt als 2006, und die Zürich Versicherung. Letztere gibt an, dass sie Anfang 2021 700 Wohnungen weniger besass als vor 15 Jahren – sie wäre damit das einzige der untersuchten Unternehmen, das einen Rückgang verzeichnet. Nach den Gründen für diese überraschende Entwicklung gefragt, schreibt die Kommunikationsabteilung lediglich: «Der An- oder Verkauf von Immobilien erfolgt aus einer Reihe unterschiedlicher geschäftspolitischer Erwägungen, die wir nicht weiter ausführen»
Ganz anders sieht es bei der Anlagestiftung Assetimmo aus: Das Unternehmen, das Gelder von Schweizer Personalvorsorgeeinrichtungen anlegt, konnte seine 7 Wohnungen von 2006 um massive 2000 Prozent steigern. 2011 übernahm es den Immobilienbestand der Pensionskassen des Tamedia-Verlag und besitzt mittlerweile mehr als 140 Wohnungen. Auch die wohl unbekannteste Gruppe der Grossgrundbesitzer, die Immo-Firmen, haben stark zugelegt. So haben sich etwa die Portfolios der Swiss Finance & Property Group (650% Zunahme), der Mobimo AG (460%) oder der Fundamenta AG (von null auf 150 seit 2006) stark vergrössert.
Hilf mit beim #ZürichAufdecken!
Unsere Recherche schafft ein Stück Transparenz in einem sonst sehr intransparenten Markt. Dennoch ist nach wie vor vieles unklar: Die Adressen in unserer Datenbank decken nur rund 30 Prozent aller Wohnungen ab, die sich im Besitz von institutionellen Investoren befinden. Wem also gehören die restlichen 70 Prozent? Und gibt es unter ihnen unbekannte Immobilien-Giganten?
Diese Fragen will das Recherche-Team Reflekt gemeinsam mit dem Stadtmagazin tsüri.ch und allen Zürcherinnen und Zürchern beantworten. Auf unserer Webseite #ZürichAufdecken könnt ihr Hinweise hinterlegen oder eine Anfrage an eines der Grundbuchämter starten. Machen einige tausend Personen mit, dürfte bald noch mehr Klarheit darüber herrschen, wem Zürich gehört.
Die eindrücklichste Entwicklung aber hat die Swiss-Life-Gruppe hinter sich. In nur elf Jahren konnte der Versicherungsriese sein Immobilien-Portfolio um 2700 Einheiten erweitern und auf hohem Niveau mehr als verdoppeln. Obschon auch die beiden Grossbanken CS (+720) und UBS (+650) sowie der Versicherungskonzern Axa (+934) stark zugelegt haben, wurden sie von der Swiss Life Gruppe regelrecht abgehängt. Dank dem wohl grössten Zuwachs im Zürcher Wohnungsmarkt der Neuzeit gehört dem Konzern nun jede fünfzigste Wohnung der Stadt.
Zu mehr Transparenz fühlt sich das Unternehmen deswegen nicht verpflichtet. Anders als etwa die CS, die UBS oder die Axa macht die Swiss Life ihr Immobilien-Portfolio weder auf ihrer Webseite noch im Jahresbericht publik und beantwortet auch entsprechende Anfragen negativ. Um dennoch zu verstehen, welche Rolle das dominante Unternehmen auf dem Zürcher Wohnungsmarkt spielt, haben wir gemeinsam mit dem Stadtmagazin tsüri.ch die elf Grundbuchämter der Stadt Zürich um Informationen zum Grundstückbesitz der Swiss Life angefragt. Nach einem längeren Prozess, in welchem unter anderem das öffentliche Interesse an der Auskunft begründet werden musste, haben zehn der elf Grundbuchämter die entsprechenden Daten herausgegeben. Gegen den Entscheid des elften Grundbuchamts hat REFLEKT Beschwerde vor dem Bezirksgericht Zürich eingereicht. Sobald alle Daten vorliegen, werden wir diese auswerten.
Doch weshalb spielt es überhaupt eine Rolle, wem die Wohnungen gehören?
Wohnen wird in den Städten immer teurer: Der von der Stadt Zürich erhobene Mietpreisindex ist seit 2000 um 21 Prozent angestiegen. Die mittleren Marktmieten lagen laut Angaben von Wüest Partner Anfang 2021 rund 30 Prozent über denjenigen von 2005.
Dass es zwischen den steigenden Mietpreisen und der Zunahme der kommerziellen Wohnungsbesitzer/innen einen Zusammenhang gibt, ist für Walter Angst klar. «Die Grossen können den Spielraum bei den Mieten viel extremer ausreizen als private Besitzer», sagt der Vertreter des Mieterverbands Zürich. Immobilien-Firmen könnten den Markt genau analysieren, Daten zu ortsüblichen Mietpreisen sammeln und basierend darauf die Preise bis ans Limit anpassen.
«Die Unternehmen sind professioneller unterwegs als früher», sagt auch Immobilien-Experte Donato Scognamiglio. Sie könnten Mietanpassungen grossflächiger vornehmen und hätten mehr Mittel, um grössere Objekte zu kaufen oder Totalsanierungen zu realisieren.
«Zürich ist ein extremer Markt», sagt Michael Trübestein, Professor an der Hochschule Luzern. Hier treffe eine hohe Investitionssicherheit und eine gute Lage auf positive Zuwanderung, sehr knappe Landreserven und viel verfügbares Kapital. Das habe mit dazu geführt, dass sich die Preise für den Kauf von Wohnimmobilien allein zwischen 2008 und 2018 verdoppelt haben.
Einer der Gründe dafür: Spätestens seit der Finanzkrise 2007/08 gelten Wohnimmobilien, besonders in den florierenden Grossstädten, als begehrte Anlageobjekte. Weil renditeträchtige Alternativen fehlen, fliesst immer mehr Geld in den Immobilienmarkt. Ähnlich wie Aktien oder Fonds werden Wohnungen zunehmend zum Finanzprodukt. Diese sogenannte Finanzialisierung des Immobilienmarktes hinterlässt ihre Spuren auch in der Schweiz. Ganz besonders in Zürich.
Denn die Stadt ist weitgehend gebaut. Es fehlt an freien Flächen oder grösseren Arealen, auf denen grosse Neubauten entstehen könnten. Nachdem es zwanzig Jahre immer nur aufwärts gegangen sei, befände sich der Zürcher Wohnungsmarkt nun in einer Phase der Reife, sagt Robert Weinert vom Beratungsunternehmen Wüest Partner. Trotzdem hätten viele Akteure nach wie vor das Bedürfnis, Objekte zu erwerben, um eine langfristige Rendite zu erwirtschaften. «Die Investoren stehen unter Renditedruck und wollen ihr Portfolio optimieren. Sie sanieren, bauen aus, erstellen Ersatzneubauten.»
Weitere Artikel zum Thema:
– Mach mit beim #ZürichAufdecken
– So (in)transparent sind die Immobilien-Firmen
– «Wir sind nicht Wien, aber weit von London entfernt»
Dieser Anlagedruck erhöht die Zahlungsbereitschaft der Investoren. Und wer teuer kauft, möchte auch teuer vermieten. Dass diese Aufwertungen nicht selten zur Verdrängung alteingesessener Bewohner/innen führt, zeigt sich vom Zentrum bis an den Stadtrand. Die unter dem Namen „Seefeldisierung“ bekannte Gentrifizierung greift um sich – befeuert durch die zunehmenden Investitionen, ermöglicht durch ein grundlegendes Problem: Seit Jahrzehnten wollen mehr Menschen in Zürich wohnen, als Wohnraum verfügbar ist.
Seit achtzig Jahren lag der Wohnungsleerstand in Zürich stets unter zwei und meist fast bei null. «Diese Tatsache treibt die Preise in die Höhe», sagt Sibylle Wälty, Raumwissenschaftlerin beim ETH Wohnforum. Laut ihr trägt die Stadt selbst einen grossen Teil der Verantwortung für die hohen Mietpreise. Denn in den letzten Jahrzehnten entstanden massiv mehr Arbeitsplätze als Wohnplätze – was Zürich zwar Wirtschaftswachstum beschert, aber auch mit einem Dilemma konfrontiert: Wo sollen all die Menschen unterkommen, die diese Arbeitsplätze beanspruchen?
«Eine nachhaltige Siedlungsentwicklung ist nur möglich, wenn Raumplanung und Politik die stadtökonomischen Zusammenhänge miteinbeziehen», sagt Sibylle Wälty. Verglichen mit 1960 habe Zürich heute rund 20’000 Einwohner weniger und 160’000 Vollzeit-Beschäftigte mehr: Vom damaligen 1:2-Verhältnis habe sich die Stadt hin zu einem 1:1 Verhältnis entwickelt. Die Raumwissenschaftlerin geht davon aus, dass die Preise tiefer wären, wenn die Stadt ein Verhältnis anstreben würde, das auf einen Vollzeitbeschäftigten zwei Wohnplätze vorsieht. Nicht das Bauen von Wohnraum sei der Preistreiber, sondern das Nicht-Bauen. «Als Mieter müsste man daran interessiert sein, dass deutlich mehr Wohnraum zugelassen wird».
Investieren, verdichten, aufwerten – oder die Stadt so lassen, wie sie ist? Wie der optimale Kompromiss für Zürich aussieht, bleibt offen. In ganz Europa fehlen gute Beispiele dafür, wie prosperierende Städte sozial- und umweltverträglich wachsen können. Klar ist nur: Steigen die Bodenpreise weiterhin so stark, wird Wohnraum stetig teurer und die Probleme nehmen zu.
Eine ausführlichere Version dieses Artikels ist in Zusammenarbeit mit dem Onlinemagazin «Republik» erschienen.
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