Ein Schweizer inszeniert sich in Dubai als Erfolgscoach und «Traumatherapeut». Doch hinter der glänzenden Fassade steckt ein System, das für Teile seiner Kundschaft im Albtraum endet.
Das Wichtigste in Kürze
- Marthieu Schmidt wirbt auf Social Media mit einer angeblichen Militärtechnik, die Blockaden und Traumata lösen soll. Er habe bereits Tausenden geholfen und mit Polizei, Spitälern und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zusammengearbeitet.
- Doch angefragte Organisationen bestreiten eine Zusammenarbeit. Ohne psychologische Ausbildung oder entsprechende Arbeitserfahrung arbeitet der Coach mit Menschen in psychischen Notlagen. Uns liegen zahlreiche Verträge und Aussagen von unzufriedenen Kund:innen in der Schweiz und Deutschland vor.
- Betroffene berichten von stundenlangen Verkaufsgesprächen, in denen Druck ausgeübt und Heilung versprochen wurde. Am Ende unterschrieben sie Coaching-Verträge im Wert von mehr als 8000 Euro.
- Fachleute warnen: Solche Angebote bergen hohe Risiken für die psychische Gesundheit. Während es in Deutschland rechtliche Schranken gibt, fehlt in der Schweiz ein wirksamer Schutz.
Teure Autos, Wüsten-Trips und Golfen vor der Skyline Dubais – auf Social Media teilt der Schweizer Coach Mathieu Schmidt seinen luxuriösen Lebensstil, gepaart mit inspirierenden Videonachrichten. Die Botschaft: Auch du kannst es schaffen. Mit dem richtigen Mindset – und einem Coaching von Mathieu Schmidt. Der 32-Jährige nennt sich «Traumatherapeut», «Performance-Coach» und sei «einer der bekanntesten Mental-Coaches Europas». Laut Website soll er über tausend Menschen geholfen und für die SBB, mehrere Kantonspolizeien, die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und die Schweizer Armee gearbeitet haben. Beim Militär habe er eine Technik erlernt, die dabei helfe, Traumata und Blockaden zu lösen.
Um Kundschaft zu gewinnen, hat er dieses Jahr fast 200 Anzeigen auf Facebook und Instagram geschaltet. Eine davon kostete Monika Graf* ihre Ersparnisse.
Erstgespräch beim Versicherungsvertreter
Als die über 60-Jährige aus dem Kanton Zürich Mathieu Schmid auf Facebook begegnet, hat sie bereits jahrelange Therapieerfahrung hinter sich. «Mir gings damals richtig schlecht», sagt sie. «Da hältst du dich an jedem Strohhalm fest.» In einem Erstgespräch lernt sie Schmidts rechte Hand kennen: einen ehemaligen Call-Center-Manager, Versicherungsvertreter und Inhaber dreier Pizza-Filialen. Über vier Stunden lang redet er auf sie ein, sagt, dass Schmidt selbst traumatisierte Kriegsveteranen ins Leben zurückhole und sein Coaching auf sie persönlich zugeschnitten werde. So schildert es Monika Graf. Am Ende unterschreibt sie einen Vertrag über fast 8000 Euro. Abgeschlossen nach deutschem Recht mit einer Firma in Grellingen BL. Als die Überweisung der ersten Tranche nicht klappt, versucht es der Mitarbeiter per Fernzugriff auf ihren Computer. Letztlich überweist sie am nächsten Morgen 3000 Euro – der Rest folgt in Raten
Doch als Monika Graf Zugang zu Schmidts Angebot erhält und in einer WhatsApp-Gruppe mit Hunderten anderen landet, realisiert sie ihren Fehler. Statt personalisiertes Coaching gibt es grossteils digitale Gruppen-Sitzungen und Selbststudium aufgezeichneter Videos. «Ich war so ein Idiot», sagt sie. «Ich hab dem fast mein ganzes Erspartes gegeben.»

Das Video zur Recherche
Was Monika Graf erlebt, ist ein Phänomen unserer Zeit. Auf Social Media versprechen unzählige Coaches Heilung, Glück oder Erfolg – oft für viel Geld und oft mit wenig Nutzen. Doch fehlbare Handlungen lassen sich nur selten nachweisen. Im Fall Mathieu Schmidt ist das anders. In einer gemeinsamen Recherche mit dem Beobachter haben wir mit Betroffenen in der Schweiz und Deutschland gesprochen, Einblick in seine Firma erhalten und zahlreiche Dokumente ausgewertet. Das Fazit: Hinter der Traumwelt des Coachs steckt ein System, das für Teile seiner Kundschaft als Albtraum endet.
Vom Security zum Traumatherapeut
Wir haben sieben Organisationen kontaktiert, mit deren Logos Mathieu Schmidt als Referenzen auf seiner Website wirbt. Keine bestätigt eine Zusammenarbeit. «Diese unautorisierte Kundenreferenzierung ist rechtswidrig», schreiben die SBB. Die Kantonspolizei Basel-Landschaft will Schmidt auffordern, das Logo «umgehend zu löschen». Die Schweizer Armee prüft, ob weitere Schritte erforderlich sind. Für die Universitären Psychiatrischen Dienste Basel war Schmidt tatsächlich tätig. Als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Securitas.
Auf Anfrage sagt Mathieu Schmidt, er habe für die meisten Organisationen nicht als Coach, sondern im Sicherheitsbereich gearbeitet. Er gehe nicht davon aus, dass jemand dadurch getäuscht würde.

Schmidt ist in Süddeutschland aufgewachsen, hat einen Schweizer Pass und absolvierte die Schweizer Rekrutenschule. Danach tingelte er von Job zu Job, zwischen Personalvermittlung, Sicherheitsdienst und Online-Marketing. Heute läuft sein Geschäft so gut, dass zeitweise sieben Personen für ihn arbeiten – vor allem in der Kundenwerbung. Von einem Hochhaus in Dubai Marina aus rufen sie Personen in der Schweiz, Deutschland oder Österreich an, um ihnen teure Coachings zu verkaufen. «Im Büro flattern ständig Beschwerden rein», sagt eine Person, die mit Schmidts Geschäft vertraut ist. «Ein paar Unzufriedene sind normal, aber bei ihm sind es richtig viele.»
Schuldenfalle statt Heilung
Uns liegen Verträge oder Aussagen von zehn unzufriedenen Kundinnen und Kunden vor. Mehreren war eine Geld-zurück-Garantie versprochen worden. Als sie diese einforderten, wurden sie abgewimmelt. So auch Monika Graf.
Weil sie ihr Geld nicht zurückbekommt, schaltet sie einen Anwalt ein. Der findet heraus, dass Schmidt in Grellingen gewohnt hat und sich 2022 nach Dubai abmeldete. «Die Gegenpartei hat bewusst eine falsche Adresse beim Vertragsschluss angegeben», schreibt ihre Rechtsvertretung. «Mit dieser Ausgangslage müssen wir von einem Betrug ausgehen.» Mindestens drei weitere Personen versuchen mit anwaltlicher Hilfe aus den Verträgen rauszukommen. Die Rechtsvertreter argumentieren mit «Täuschung» oder «überzogenen Forderungen». Einigen können offene Forderungen abwehren, doch vielen fehlen die Ressourcen. Mehrere Quellen berichten, dass sich besonders verletzliche Menschen von den Versprechen angezogen fühlen – darunter Arbeitslose und Menschen mit psychischen Belastungen.
Es gebe vielleicht «15 bis 20 Prozent» Unzufriedene, sagt Mathieu Schmidt. Das sei eine gute Zahl – schliesslich habe er schon Tausenden helfen können. Die Geld-zurück-Garantie gelte nur, wenn man einen Grossteil der Trainings bestreite. Tatsächlich ist in mehreren Verträgen eine entsprechende Klausel enthalten. Weiter seien die Vorwürfe der Anwälte haltlos. Er biete seiner Kundschaft Hunderte Stunden Videomaterial, mehrere Gruppencoachings pro Woche und teilweise Eins-zu-eins-Gespräche. Ob sich jemand ein Coaching leisten können, werde im Vorfeld abgeklärt.
Wenn Coaches zur Gefahr werden
Trotz fehlender Ausbildung arbeitet Mathieu Schmidt immer wieder mit Menschen, die professionelle Betreuung bräuchten. Neben Monika Graf sprachen wir mit drei weiteren Frauen, die in psychischen Notlagen einen Vertrag abschlossen. Mehrere litten unter schweren Depressionen. Sie erzählen, wie ihnen in stundenlangen Verkaufsgesprächen Heilung versprochen wurde. Eine sagt: «Der Verkäufer liess nicht locker, bis ich unterschrieben hatte.»
Er könne sich nicht vorstellen, dass seine Mitarbeitenden Kundinnen unter Druck setzen, sagt Mathieu Schmidt. Heilung werde nicht versprochen – als Coach könne er die Menschen nur «auf ihrem Weg begleiten». Er sei ein Praktiker und lerne «von den besten Psychologen, den besten Ärzten, die für mich erreichbar sind.» Über Zertifikate oder eine Ausbildung im Bereich Psychologie oder psychologischem Coaching verfüge er nicht.
Eine solche Konstellation berge grosse Risiken, sagt Noora Al-Rubai, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Coaching-Psychologie (SSCP): «Wer psychische Probleme oder Traumata hat, braucht staatlich regulierte Fachkräfte.» Coaches ohne fundierte Ausbildung könnten unbewusst Retraumatisierungen auslösen, psychische Symptome verstärken oder Betroffene von einer notwendigen Therapie abhalten. Weil Begriffe wie «Traumatherapeut» oder «Coach» nicht geschützt sind, rät Noora Al-Rubai, auf Aus- oder Weiterbildungen zu achten. Ein seriöser Coach verspreche keine Heilung, habe nachvollziehbare Methoden, übe keinen Druck aus, könne eine psychologische Ausbildung vorweisen und sei bestenfalls einem Verband angeschlossen. Damit Konsumentinnen besser geschützt werden können, wünscht sich die SSCP staatliche Unterstützung – etwa mit Aufklärungskampagnen oder Anlaufstellen für Opfer. In Deutschland habe man das Problem erkannt. Dort gebe es Beratungsangebote, und Fälle würden besser erfasst.
Hierzulande müssten Betroffene mögliche Vergehen wie Täuschung oder Übervorteilung selbst beweisen, sagt Lucien Jucker von der Stiftung für Konsumentenschutz. Die Organisation hat im laufenden Jahr 13 Beschwerden zu Coaching-Angeboten erhalten – dreimal mehr als im Vorjahr. In Deutschland können Coaching-Verträge nichtig sein, falls das Angebot unter das Fernunterrichtsschutzgesetz fällt und der Coach keine entsprechende Zulassung hat. Eine Zulassung wiederum erhält nur, wer ein geprüftes didaktisches Konzept vorlegt und keine irreführende Werbung macht. «Das können dubiose Online-Coaches meist nicht erfüllen», sagt Lucien Jucker. Die deutschen Konsumentinnen und Konsumenten seien dadurch besser geschützt.
«Es wird mich ewig schmerzen»
Davon könnte auch Schmidts unzufriedene Kundschaft profitieren, denn seine Verträge sehen die Anwendung deutschen Rechts vor. Laut Jucker hilft das vor allem bei ausstehenden Zahlungen: «Wer bezahlt hat, sieht sein Geld meist nicht wieder.» Dubai sei für die europäische Justiz schwer greifbar. Zu dieser Erkenntnis ist auch Monika Graf gekommen: «Es wird mich ewig schmerzen, aber ich muss das Geld wohl abschreiben», sagt sie. Es bleibt die Hoffnung, dass ihre Erfahrung anderen hilft. Denn eines verbindet sie mit den anderen Betroffenen: Sie wollen warnen.
*Name geändert