Wie die Windkraft scheitert

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Wie Windkraftgegner mit aggressiven Methoden einen Gemeinderat stürzten. Und was dieser Widerstand über das Scheitern der Schweizer Energiestrategie aussagt.

Publikationen
29.10.23, NZZ Magazin: Warum Windkraft in der Schweiz zum Scheitern verurteilt ist
19.11.23, Le Temps: Lenteur de la progression de l’éolien suisse: mais qui donc est à la manœuvre

 

An einem Sonntag im März 2021 kommt es in Vuisternens-devant-Romont zum Eklat: Fast der gesamte Gemeinderat des Dorfs im Freiburger Mittelland wird abgewählt. Langjährige Ratsmitglieder werden durch politische Neulinge ersetzt, die eines nicht wollen: Windräder auf den umliegenden Hügeln.

In den nächsten Monaten bekämpfen sie die Pläne des Kantons und ziehen dafür mit anderen Gemeinden bis vor Bundesgericht.

Vuisternens ist kein Einzelfall: Von St. Gallen bis in die Waadt wehren sich Menschen erfolgreich gegen den Bau von Windparks: Seit das Energiegesetz 2018 in Kraft getreten ist, wurden im ganzen Land gerade mal fünf Windräder in Betrieb genommen. Der Bund strebt bis 2050 mindestens 400 an.

Wo gibt es Windparks? Wo sind sie geplant? Quelle: suisse-eole.ch/de/windenergie/windparks/.

In Vuisternens finden sich Antworten. Hier zeigt sich, was der Energiestrategie des Bundes entgegenschlägt, wenn unerfahrene Behörden auf  aufgebrachte Bürger:innen und einflussreiche Verbände treffen. Das Drama von Vuisternens – es spielt sich gerade in dutzenden Schweizer Dörfern ab.

Während Monaten haben wir mit Beteiligten des Windkraft-Streits von Vuisternens gesprochen, haben Dokumente analysiert und Expert:innen konsultiert. Daraus ist ein Artikel entstanden, der am 29.10.203 im NZZ Magazin erscheint.

An dieser Stelle fassen wir die sechs wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Unsere Recherche zeigt: Einige Probleme lassen sich in der dicht besiedelten Schweiz kaum lösen. Andere, wie der mangelhafte Einbezug der Bevölkerung, sind hausgemacht. Dazu kommt ein besorgniserregender Trend: Der Widerstand gegen die Windkraft wird nicht nur immer professioneller und emotionaler geführt – er bedient sich auch unlauteren Methoden wie Falschinformationen oder Attacken auf unliebsame Personen.

1. Späte Kommunikation & mangelnde Partizipation

In seinem Richtplan hat der Kanton Freiburg das Potenzial für Windenergie ausgelotet und mögliche Standorte definiert. Einige Monate bevor in Vuisternens die Proteste ausbrechen, wurde der Plan vom Bundesrat genehmigt und der Öffentlickeit vorgestellt. 23 grosse Windräder könnten in der Umgebung von Vuisternens gebaut werden – im Waldgebiet Monts de Vuisternens und auf dem Hügelzug des Massif du Gibloux.

Vorausgesetzt: Die Gemeinde genehmigt einen entsprechenden Nutzungsplan. Das war damals noch in weiter Ferne. «Es gab noch gar kein konkretes Projekt», sagt Michel Seydoux, einer der abgewählten Gemeinderäte. Doch die Bevölkerung fühlte sich hintergangen. Viele dachten, es gebe ein konkretes Projekt. Ingrid Mathis, eine der Neuen im Gemeinderat von Vuisternens sagt: «Wir wären nicht hier, wenn die Bevölkerung von Anfang an informiert und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt worden wäre».

Die Angst, von Entscheidungen ausgeschlossen zu werden, mit denen man am Ende leben muss, vereint Hausbesitzerinnen und Landschaftsschützer, Vogelfreunde und Klimaskeptiker.

 

2. Ungerechte Verteilung der Lasten

Ingrid Mathis, parteilos, wurde durch den Windkraft-Streit politisiert und sitzt heute im Gemeinderat von Vuisternens. Für sie ist die Windkraftplanung auch eine Frage der Gerechtigkeit: Warum sollen die Menschen auf dem Land neben Windrädern wohnen, um Strom für die Städter und Industrieunternehmen zu produzieren?

Studien zeigen, dass betroffene Anwohnende oft das Gefühl haben, die Vor- und Nachteile solcher Projekte seien ungleich verteilt. Zudem sind die Vorteile der Windkraft für sie weniger greifbar. In einer HSG-Studie wurden die Vorteile von den Befragten nur abstrakt beschrieben: sauberer Strom, Nachhaltigkeit, Zukunft. Die Nachteile konnten viel konkreter benannt werden: Lärm, Einschnitt in das Landschaftsbild, Gefahr für Tiere. Wer diesen Mechanismus richtig bedient, ob faktenbasiert oder nicht, kann die Stimmung daher schnell zum Kippen bringen.

 

3. Not in my backyard

In Vuisternens leben 2600 Menschen auf einer gleich grossen Fläche wie die 170 000 Einwohner der Stadt Basel. Platz für Windräder hätte es in der hügeligen Landschaft. Und doch wird mit allen Mitteln dagegen gekämpft.

Der Verein «Vents Contraires», der seit 2015 Windkraftprojekte im Kanton bekämpft, engagiert sich in den Monaten vor den Gemeinderatswahlen. Er versendet einen Fragebogen an alle Kandidierenden, um deren Positionen zur Windkraft zu veröffentlichen. Einige der damals noch amtierenden Räte füllen den Fragebogen nicht aus, unter ihnen Michel Seydoux, obwohl er selbst auch kein Windrad vor seinem Haus sehen möchte. Das vom Kanton vorgeschlagene Gebiet auf den Monts de Vuisternens erstreckt sich bis zu 300 Meter von seinem Haus – das wäre Seydoux zu nah. Es ist ein Phänomen, das es im ganzen Land gibt und als «NIMBY-Syndrom» bezeichnet wird: «Not In My Backyard», was soviel bedeutet wie «Windkraft ja, aber nicht vor meiner Haustür».

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4. Emotionales Thema & aggressive Bewirtschaftung

Im Vorfeld der Gemeinderatswahlen ist die Windenergie das Thema. Weil Geschäfte und Restaurants wegen Corona geschlossen sind, wird in WhatsApp-Gruppen und auf Facebook Stimmung gemacht gegen den Gemeinderat. «Die Anwohner sagten, wir seien alle gekauft, wir seien Verräter und wir hätten Dinge unterschrieben, die man nicht mehr rückgängig machen könne», sagt Seydoux. Der langjährige Gemeinderat wird von nun an gemieden. Manche grüssen ihn nicht mehr auf der Strasse.

Jérôme Bifrare, Vorstandsmitglied der Bauerngenossenschaft, erinnert sich gut an die aufgeheizte Stimmung vor den Wahlen in Vuisternens. «Die Gegner waren feindselig, aggressiv, unehrlich», sagt er. Für ihn wären ein paar Windräder in einer Entfernung von etwa 2.5 Kilometern seines Hauses ein relativ kleiner Einschnitt ins Landschaftsbild. Im Gegensatz zu den Anwohnern in direkter Nähe, bei denen er den Ursprung des Widerstands vermutet.

Es sei ein «Klima des Misstrauens» geschaffen worden, bevor ein konkretes Projekt geprüft werden konnte, sagt Olivier Curty, Vorsteher der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion.

 

5. Bildmontagen & Falschinformationen

«Unsere Gesundheit ist nicht käuflich» steht auf Anti-Windkraft-Flyern, die in den Briefkästen von Vuisternens landen. Es wird vor Schlafproblemen, Übelkeit oder Depressionen gewarnt. Und vor der «grössten Industriezone für Windkraft der Schweiz». Windräder verändern das Bild von unberührten Landschaften und können eine Gefahr für Vögel darstellen. Gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit Schallwellen unterhalb der menschlichen Hörschwelle sind in den zulässigen Abständen von Windparks nach derzeitigem Wissensstand jedoch unbegründet.

Auch die Fotomontagen, die in Vuisternens und den umliegenden Gemeinden kursieren, haben nichts mit der Realität zu tun. Zu sehen ist etwa ein Wald von Windrädern oder ein Windrad mitten im Stadtzentrum von Fribourg, dreimal so hoch wie die Kathedrale.

Beispiele von Flyern, die im Kanton Freiburg verteilt wurden. Links: Widerstand gegen Windkraft in Sonnaz. Rechts: Fokus auf Vuisternens.

Auf mehreren Flyern wird zudem ein Gemeinderat mit Foto herausgestellt, der für Groupe E arbeitet. Dass er für eine Abteilung tätig ist, die nichts mit erneuerbarem Strom zu tun hat, spielt keine Rolle. Ihm wird ein Interessenskonflikt unterstellt.

 

6. Lokaler Widerstand mit professioneller Verstärkung

Die Koordination der Aktivitäten, die zahlreichen Anfragen nach amtlichen Dokumenten, das Verteilen von Flyern in den Dörfern oder das gezielte Schüren von Ängsten – das trage die Handschrift von professionell agierenden Anti-Windkraft-Organisationen, sagt Jérôme Bifrare, Vorstandsmitglied der Bauerngenossenschaft. «Es war alles kalkuliert und orchestriert.» Namen nennt er keine. Für Involvierte bei den Behörden und der Groupe E ist aber klar: Der Verband «Paysage Libre» hat die zentrale Rolle gespielt.

Paysage Libre Suisse, in der Deutschschweiz als Freie Landschaft Schweiz bekannt, führt eine nationale Kampagne gegen die Windkraft. Seit 2004 setzt er sich gegen die «schädliche Industrialisierung durch Windkraftanlagen» ein und war bis vor kurzem hauptsächlich im Jurabogen aktiv. Dort stehen an drei Standorten 21 Windräder – mehr als zwei Fünftel aller Windräder in der Schweiz. Heute mobilisieren acht regionale Sektionen, darunter auch eine in Freiburg, mit 48 angeschlossenen Lokalvereinen wie «Vents Contraires» gegen praktisch jedes Windkraftprojekt.

So kämpft Paysage Libre gegen die Windkraft in Zürich

Paysage Libre will beim Widerstand von Vuisternens nicht federführend gewesen sein. «Die Arbeit findet effektiv in den Lokalvereinen und Regionalsektionen statt», schreibt der Präsident Elias Vogt auf Anfrage. Der Dachverband diene lediglich als Plattform, um die Arbeit der Vereinsmitglieder zu koordinieren, Studien zu sichten und Argumente zu prüfen, Medienmitteilungen herauszugeben oder Referenden zu unterstützen – wie jenes gegen ein schwebendes Bundesgesetz, das der Stromproduktion Vorrang vor dem Naturschutz einräumen soll.

Hat die Regierung unterschätzt, auf wie viel Widerstand sie stossen würde? Olivier Curty, Vorsteher der Volkswirtschaftsdirektion, verneint. Er schätzt, dass die Mehrheit der Freiburger Bevölkerung noch immer für den Ausbau der Windkraft ist. «Ein Grossteil des Widerstands ist vom Verein Freie Landschaft Schweiz orchestriert und gefördert worden.» Er spricht von einem «roten Faden», der sich vom nationalen Verband bis in die Gemeinden und lokalen Organisationen gezogen habe.

 

Wie weiter?

Im Kanton Freiburg steht der Staatsrat vor einem Scherbenhaufen. Jüngst haben die Gegner erreicht, dass das Kapitel Windkraft im kantonalen Richtplan überarbeitet werden muss – und zwar zusammen mit Vertretern der Gemeinden, Experten und Verbänden. So sollen die Gegner eingebunden werden. Die Regierung hofft, künftigen Projekte dadurch mehr Akzeptanz zu verschaffen. Doch die Extrarunde bewirkt vor allem eins: Dass es noch ein paar Jahre länger dauert, bis in Freiburg das erste Windrad gebaut wird.

Die nationale Politik wünscht sich derweil etwas ganz anderes. Mit der kürzlich verabschiedeten «Windkraftoffensive» sowie dem neuen Energie-Mantelerlass sollen grosse Projekte deshalb zügiger realisiert werden können. So wird es schwieriger, mit Beschwerden ans Bundesgericht zu gelangen und Argumente des Landschaftsschutzes erhalten weniger Gewicht.

Die Reformen werden die sehr langen Verfahren für den Bau eines Windpark aber nur um einige wenige Jahre verkürzen können, schätzen Experten. Mit Blick auf das verpatzte Windkraftabenteuer in Freiburg scheint es wichtiger, dass die Behörden ein Augenmerk auf die Kommunikation legen. Sie drangen mir ihrer Botschaft nicht durch, dass es in Vuisternens nie ein konkretes Projekt gab.

Doch viele Leute glaubten genau dies. Sie gingen auch deshalb auf die Barrikaden, weil sie sich überrumpelt fühlten. Lokale Widerstandsgruppen können zwar klein beginnen, aber dank eingängigen Argumenten und professioneller Unterstützung rasch an Schlagkraft gewinnen – bis wieder irgendwo ein Gemeinderat ausgetauscht wird.

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Recherche & Text

Gina Bachmann

Recherche & Text

Florian Wüstholz

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