Diskriminierende Äusserungen im Internet sind strafbar. Doch REFLEKT-Recherchen zeigen: Auf vielen Polizeiposten lassen sich die Delikte gar nicht anzeigen. Es fehlt an grundlegendem Wissen über die Diskriminierungsstrafnorm.
Das Wichtigste in Kürze
- Mithilfe von 30 Hilfsreporter:innen haben wir in allen Deutschschweizer Kantonen rassistische, antisemitische und queerfeindliche Kommentare aus dem Internet angezeigt.
- Die Kommentare verstossen laut Expert:innen potenziell gegen die Diskriminierungsstrafnorm, weshalb die Polizei von Amtes wegen ermitteln muss.
- Dennoch haben 18 von 34 Polizeiposten die Anzeige nicht entgegengenommen oder nie bearbeitet. Zahlreiche Beamt:innen machten falsche strafrechtliche Aussagen. Eine Anzeigestellerin wurde sogar selbst angezeigt.
- Der Zusammenschluss der kantonalen Polizeikommandant:innen KKPKS gesteht Handlungsbedarf ein. Gestützt auf die Recherche-Erkenntnisse, würden die Mitarbeitenden in den Polizeikorps «entsprechend sensibilisiert».
Kapitel
Hate Speech im Internet nimmt zu. Die Forschung legt nahe, dass Hass im Netz in physische Gewalt umschlagen kann. Das zeigen Anschläge der vergangenen Jahre, etwa in Halle, Hanau oder Zürich. Die Attentäter hatten sich alle im Internet radikalisiert. NGOs, Bildungsprojekte und politische Initiativen treten dieser Tendenz entgegen.
Strafbar ist in der Schweiz die öffentliche Verbreitung von Hass und Diskriminierung wegen «Rasse, Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung». Die Diskriminierungsstrafnorm gilt auch im Internet. Wer gegen Artikel 261bis Strafgesetzbuch verstösst, kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Dabei handelt es sich um ein Offizialdelikt. Das heisst: Die Behörden müssen ermitteln, sobald sie von einer potenziellen Straftat erfahren.
Aber funktioniert das auch in der Praxis?
Um das herauszufinden, haben wir 30 Hilfsreporter:innen in alle Kantone der Deutschschweiz geschickt, um rassistische, antisemitische und queerfeindliche Kommentare aus dem Internet anzuzeigen. Sie meldeten die Fälle bei insgesamt 34 Polizeiposten von Fribourg bis Frauenfeld und von Thusis bis Basel. REFLEKT dokumentierte und analysierte, was danach geschah.
Unsere Recherche zeigt: Die Polizei setzt die Diskriminierungsstrafnorm im Internet kaum um. Oft fehlte es den Beamt:innen am dafür notwendigen Wissen.
Das Video zur Recherche
Ergebnis: Ratlose Beamte, gleichgültige Behörden
In 18 von 34 Fällen war eine Anzeige auf dem Polizeiposten nicht oder nur bedingt möglich. «Die Zahl überrascht sehr», sagt Monika Simmler, Strafrechtsprofessorin an der Universität St. Gallen. «Eigentlich müssten alle Polizeikorps die Anzeigen entgegennehmen, prüfen und die rechtliche Würdigung dann der Staatsanwaltschaft überlassen.»
Weniger als die Hälfte der Polizeiposten reagierte richtig
🟩 16 Anzeigen entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft rapportiert🟨 2 Anzeigen nicht eingereicht, weil Beamt:innen abgeraten haben🟧 3 Anzeigen nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft verweigert🟪 3 Anzeigen entgegengenommen, aber nie bearbeitet🟥 10 Anzeigen ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft verweigert
Am bemerkenswertesten war die Reaktion auf dem Polizeiposten in Köniz bei Bern: Der Beamte, der dort im Dienst war, startete eine sogenannte «fishing expedition». Während die Anzeigestellerin davon ausging, dass er im Büro die Anzeige bearbeitete, recherchierte der Beamte im Internet über sie. Auf Instagram fand er ein Bild aus dem Jahr 2021, auf dem die Anzeigestellerin mit Militärhose an einer Kostümparty zu sehen ist. Eine solche Ermittlungsaktion ohne konkretes Verdachtsmoment ist nicht rechtmässig – auch dann nicht, wenn der Polizist fündig wird.
Dennoch leitete der Polizist ein Ermittlungsverfahren wegen «unerlaubten Tragens der Schweizerischen Armeeuniform» ein. Die Anzeigestellerin wurde mit einer Busse von 100 Franken bestraft.
Die eigentliche Anzeige wegen Diskriminierung im Internet führte ebenfalls zu einem Verfahren, war aber, als die Anzeigestellerin sechs Monate später nachfragte, immer noch hängig. «Es ist grotesk, wenn eine Person, die Anzeige erstattet, bei der Polizei einer Onlinerecherche unterzogen wird», sagt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler. Die so gesammelten Beweise wären in einem Verfahren grundsätzlich nicht verwertbar. Noch schlimmer sei aber, dass das Vertrauen in die Behörden geschmälert werde und Menschen abgeschreckt würden, zur Polizei zu gehen.
Die Kantonspolizei Bern wollte zum konkreten Fall nicht Stellung nehmen. Es sei ihr aber ein wichtiges Anliegen, dass Betroffene einfach Anzeige erstatten können und gut betreut werden.
Was haben wir angezeigt? Triggerwarnung: Hier fassen wir den Inhalt der Kommentare zusammen.
Kommentar 1 bezeichnet die jesidische Kultur als «primitiv» und «unterentwickelt» und Jesiden und Jesidinnen als «Höhlenmenschen» und «Rassisten». Sie werden aufgefordert, Europa zu verlassen. Der Text bezog sich auf eine Schlagzeile der «Bild»-Zeitung.
Kommentar 2 insinuiert, nicht-weisse Menschen hätten einen tiefen IQ. Er stand in der Kommentarspalte unter einem Artikel der Weltwoche über die Zahl der Asylsuchenden.
Kommentar 3 legt nahe, dass LGBTQI-Personen eine «psychische Krankheit» hätten, die «durch den Lehrplan hochgezogen wurde.» Er stand unter einem Facebook-Post des SVP-Nationalrats Andreas Glarner.
Kommentar 4 bezeichnet Eritrea als «low IQ drecksland». Er behauptet zudem, dass ein Eritreer, der in der Schweiz in Konflikt mit der Polizei gerate, in Eritrea einen «Kopfschuss bekommen» würde, was in der Schweiz «leider nicht» der Fall sei. Der Kommentar stand unter einem Facebook-Post des SVP-Nationalrats Andreas Glarner.
Kommentar 5 insinuiert, der Bankier Jacob Rothschild sei unermesslich reich und mächtig, besitze «jede Zentralbank der Welt», finanziere «beide Seiten jedes Kriegs», besitze «Nachrichten, Medien, Öl und Regierungen», habe Kontrolle über «Geheimgesellschaften und Freimaurerlogen» und bete einen «Satanskult» an. «Rothschild» wird oft als Chiffre für Juden und Jüdinnen verwendet. Den Post setzte ein Facebook-Nutzer öffentlich ab.
Kommentar 6 bezeichnete einen Nutzer auf Twitter (heute X) als «Dreckstürke» und «Sau Türk».
Kommentar 7 insinuierte, Juden und Jüdinnen steckten hinter den Weltkriegen, 9/11, Kommunismus, dem Mord an John F. Kennedy und kontrollierten Banken, Regierungen, Medien und die Wallstreet. Er wurde auf Facebook gepostet.
Am häufigsten begründeten die Beamtinnen und Beamte die Ablehnung damit, eine Anzeige könne nur erstatten, wer selbst von einem Hasskommentar betroffen sei. So wurde etwa in Einsiedeln, Zug und Zürich argumentiert. Das ist laut Monika Simmler ein Missverständnis. «Wir haben entschieden, dass wir in unserer Gesellschaft keine Diskriminierung dulden», sagt sie. Es handle sich daher um eine Straftat gegen Kollektivinteressen. In solchen Fällen gebe es keine einzelne geschädigte Person, die eine Anzeige erstatten könne.
Zahlreiche Beamte und Beamtinnen fanden, dass die vorgelegten Kommentare nicht strafbar, sondern durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien – etwa in Fribourg, wo eine Polizistin die Kommentare «nicht schlimm» fand. Die Beamtin riet dem Anzeigesteller daraufhin, sich mit der Anzeige direkt an die Staatsanwaltschaft zu wenden. So reagierten auch die Beamten in Olten und Frauenfeld. «Auch das ist kein korrektes Vorgehen. Die Polizei ist der richtige Ort, um Anzeige zu erstatten», sagt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler.
Das Antidiskriminerungsgesetz und seine Lücken
1994 entschied die Schweizer Stimmbevölkerung: Rassismus und Antisemitismus sollen in der Schweiz unter Strafe stehen. Seither ist es verboten, «öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion» zu «Hass oder zu Diskriminierung» aufzurufen. Im Jahr 2020 wurde das Gesetz erweitert; es schützt seither auch Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung herabgesetzt werden. Nicht nur die Urheber von Hasskommentaren machen sich strafbar, sondern auch die Plattformen, die sich an deren Veröffentlichung beteiligen.
Doch das Gesetz ist vage formuliert und hat einen engen Fokus: Nicht nur, weil darin von «Rasse» die Rede ist, einer erfundenen Kategorie, die selbst rassistisch konnotiert ist, sondern auch, weil nicht klar definiert ist, was mit «Ethnie» eigentlich gemeint ist, wo «Hass und Diskriminierung» anfangen und ab wann eine Aussage als «öffentlich» gilt.
Mitunter führt das zu erstaunlichen Gerichtsentscheiden. So urteilte ein Gericht bei einem rassistischen Kommentar auf Facebook, der sich gegen Afghanen und Afghaninnen richtete: Menschen aus Afghanistan gelten «nicht als Ethnie im Sinne von Art. 261bis StGB» und seien daher «nicht Schutzobjekt des Tatbestandes», denn Afghanistan sei ein «Vielvölkerstaat».
In einem anderen Fall erwog ein Gericht in Schaffhausen ähnlich, als es feststellte, der Ausdruck «Jugohure» stelle genau wie «Scheissalbaner» keinen Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm dar.
Viele Ausdrucksformen von Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit werden durch das Strafrecht also gar nicht erst erfasst. Hinzu kommt, dass weitere Formen der Diskriminierung durch das Gesetz nicht explizit abgedeckt sind – etwa Sexismus, Transfeindlichkeit oder Behindertenfeindlichkeit.
Andere Beamten und Beamtinnen betonten, wie schwer es sei, gegen Unbekannt zu ermitteln, und wiesen die Anzeige deswegen zurück. So argumentierte etwa eine Polizistin in Wallisellen. In Luzern erklärte der Beamte, es sei einfacher, Ermittlungen einzuleiten, wenn es um ein Vermögensdelikt gehe. Der Polizist in Aarau riet der Anzeigestellerin, sie solle gegen Rassismus politisch aktiv werden oder sich an eine NGO wenden. In Zürich wurde die Anzeigestellerin an eine Fachstelle für interkulturellen Dialog weiterverwiesen, die nichts mit der Ahndung von Straftaten zu tun hat.
In Pfäffikon und Altdorf stellten die Beamt:innen den Anzeigestellenden persönliche Fragen, die für die Anzeige irrelevant waren. In Thun, Uster und Winterthur wurden die Anzeigen zwar entgegengenommen – bei einem Anruf drei Monate später konnte sich dort aber niemand daran erinnern. Die Meldungen wurden weder an die Staatsanwaltschaft rapportiert noch im Einsatzjournal dokumentiert.
Konfrontiert mit den Rechercheergebnissen, haben mehrere Polizeien Fehler eingeräumt. Die Stadtpolizei Zürich schreibt, der zuständige Polizist hätte entsprechende Abklärungen in die Wege leiten müssen. Bei den Kommentaren bestehe «zumindest ein Anfangsverdacht auf Strafbarkeit», der Abklärungen rechtfertige. «Die Anzeige hätte aufgenommen werden müssen», schreibt auch die Kantonspolizei Fribourg. Die Stadtpolizei Winterthur will unsere Anfrage zum Anlass nehmen, um «den Kenntnisstand bei unseren Mitarbeitenden bezüglich der Rassismusstrafnorm zu überprüfen». Die anderen Behörden weigerten sich, zu den Versäumnissen Stellung zu nehmen.
Was unsere Hilfsreporter:innen in deinem Kanton genau erlebt haben, kannst du hier nachlesen.
In 16 Fällen rapportierten die Beamten und Beamtinnen an die Staatsanwaltschaft. Etwa in Allschwil, Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Visp oder Grenchen. Der Polizist in Langenthal, Kanton Bern, bat die Anzeigestellerin sogar, wieder an ihn heranzutreten, wenn sie rassistische Kommentare im Internet entdecke.
Wir haben bei allen Kantonen nachgefragt, was der Stand des Verfahrens sei. In zehn Kantonen leitete die Staatsanwaltschaft in mindestens einem der gemeldeten Fälle ein Strafverfahren ein. Eine Staatsanwaltschaft bestätigte, dass die Anzeigen eingegangen seien, nicht aber, ob ein Verfahren eröffnet worden sei. In zwei Kantonen waren Verfahren nach unserem letzten Kenntnisstand hängig. Ein weiterer Kanton hat das Verfahren sistiert. Einige Kantone nahmen das Verfahren nicht anhand oder traten es an den zuständigen Kanton ab.
Einordnung und Reaktionen: Mit Strafrecht gegen Diskriminierung?
Konfrontiert mit unseren Recherche-Ergebnissen, schreibt der Zusammenschluss der kantonalen Polizeikommandanten und -kommandantinnen: «Die KKPKS nimmt zur Kenntnis, dass bezüglich der Anzeigeentgegennahme von Sachverhalten, die gegen Art. 261bis StGB verstossen könnten, Handlungsbedarf besteht. Gestützt darauf werden die Mitarbeitenden in den Polizeikorps entsprechend sensibilisiert.»
Zwar gehöre das Strafrecht zur Grundausbildung der Polizist::innen, es könne jedoch nicht jeder Tatbestand im Detail geschult werden: «Der Art. 261bis StGB gehört nicht zu den besonders oft vorkommenden Tatbeständen. Die korpsinterne Weiterbildung ist Sache jedes einzelnen Polizeikorps. Die Schwerpunkte werden dabei nach den aktuellen Bedürfnissen festgelegt.»
Das Resultat unserer Recherche legten wir auch Expert:innen für Rassismus und Hate Speech im Internet vor. Der Rechtswissenschaftler Tarek Naguib leitet diverse Projekte zum Thema Menschenrechte. Laut ihm zeigen die Ergebnisse zum wiederholten Mal, dass das Thema Rassismus in der Ausbildung von Polizist:innen zu kurz komme.
Wenn die Polizei es unterlässt, Anzeigen wegen Diskriminierung entgegenzunehmen, ist das ein Zeichen für institutionelle Diskriminierung.
Tarek Naguib, Jurist und Experte für Menschenrechte
Das sei problematisch. Die Gesellschaft lege mit dem Strafgesetz fest: Wir tolerieren Rassismus, Antisemitismus und Homophobie nicht. «Nur wenn dieser Anspruch von Behörden ernstgenommen wird, bleibt er auch als Wert in der Gesellschaft eher stabil», so Naguib. Eine Aufgabe des Strafrechts sei es, gesellschaftliche Werte festzulegen. Naguib fordert, dass Vorgesetzte die Verfolgung von Diskriminierung explizit als strafrechtliche Aufgabe formulieren und das Personal entsprechend schulen.
Das Problem liege aber tiefer: «Wenn die Polizei es unterlässt, Anzeigen wegen Diskriminierung entgegenzunehmen, ist das ein Zeichen für institutionelle, behördliche Diskriminierung.» Fehler der Polizei würden jedoch selten mit rechtstaatlichen Mitteln kontrolliert. Nehmen sie eine Anzeige nicht auf, müssten Polizist:innen nicht mit Konsequenzen rechnen. Das müsse sich ändern.
Eine weitere Aufgabe des Strafrechts ist die Abschreckung. Eine neue Studie der Universität Zürich legt etwa nahe, dass Sanktionen dazu führen könnten, dass Täter:innen weniger Hate Speech im Internet posten. So kann das Internet zumindest stückweise zu einem sichereren Ort für Menschen gemacht werden, die von Diskriminierung betroffen sind und immer stärker aus Onlinediskursen hinausgedrängt werden.
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REFLEKT ist gemeinnützig. Alle Beiträge sind steuerlich absetzbar.Doch Sanktionen führen nicht unbedingt zu einer Änderung der Haltung von Täter:innen, sagt Rechtswissenschaftler Tarek Naguib. Dafür brauche es einen breiten gesellschaftlichen Wandel. Der Kampf gegen Diskriminierung könne deswegen nicht an die Strafverfolgungsbehörden delegiert werden. Sonst riskiere man, dass sich die Debatte auf die Definition im Gesetzestext verenge. Nach dem Motto: Was nicht strafbar ist, ist unproblematisch. Dabei könne das Gesetz nicht alle Erscheinungsformen von Diskriminierung abbilden – etwa, wenn es um unbewussten, internalisierten Rassismus gehe.
Das betont auch Morgane Bonvallat, Projektleiterin Stop Hate Speech der Public Discourse Foundation, die sich gegen Hassrede im Netz einsetzt. Die Ergebnisse zeigten auf, wie wichtig die Prävention und Sensibilisierung der Zivilgesellschaft sei, um die Lücken zu schliessen, die durch die Recherche offenbart wurden. Es sei daher zentral, dass mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt würden, um die Arbeit von Organisationen, Verbänden und Institutionen zu unterstützen, die gegen Hassrede im Netz kämpfen.
Bonvallat fordert zudem die Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm auf weitere Formen von Diskriminierung und die Übernahme des Digital Services Act der EU, der grosse Internetplattformen stärker in die Verantwortung nimmt.
Die Polizei hat keinen Spielraum, sie muss die Delikte von Gesetzes wegen verfolgen.
Monika Simmler, Strafrechtsprofessorin an der Universität St. Gallen
Viele Beamt:innen am Schalter wiesen darauf hin, dass ihnen die Ressourcen fehlten, um konsequent gegen Diskriminierung im Netz vorzugehen. Sie müssten priorisieren. Das kann im Ausnahmefall laut Rechtswissenschaftler Tarek Naguib legitim sein. Die Priorisierung müsse aber bewusst und nach festgelegten Kriterien passieren. Ein gewisses Verständnis für die Überlastung der Behörden hat auch Strafrechtsprofessorin Monika Simmler von der Universität St.Gallen. Sie betont aber: «Die Polizei hat keinen Spielraum, sie muss die Delikte von Gesetzes wegen verfolgen.» Wolle man dies als Gesellschaft, müsse man den Behörden auch die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen.
Einen Ansatz zur Priorisierung verfolgt seit 2021 ein Projekt der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, die dem Departement des Inneren angegliedert ist. Auf reportonlineracism.ch können diskriminierende Aussagen aus dem Internet direkt gemeldet werden. Die EKR wählt unter den Meldungen dann diejenigen aus, die gegen das Gesetz verstossen und leitet sie direkt an die Staatsanwaltschaft weiter. Laut Strafrechtsprofessorin Monika Simmler ist das eine Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, nicht aber einer ausserparlamentarischen Kommission. Sie schlägt daher vor, Meldungen wegen Hatespeech im Netz in den Online-Polizeiposten Suisse ePolice zu integrieren.
Die Recherche: 30 Hilfs:reporterinnen, 14 Monate
Verstösse gegen die Diskriminierungsstrafnorm müssen in ausgedruckter Form auf dem Polizeiposten zur Anzeige gebracht werden, auch wenn sie online erfolgten. Memorysticks mit digitalen Beweisstücken oder E-Mails mit Anhängen nehmen die Beamten und Beamtinnen aus Sicherheitsgründen nicht immer entgegen.
Im Frühjahr 2023 bauten wir daher ein Netzwerk aus Hilfsreporter::innen in der ganzen Deutschschweiz auf. In der Woche vom 20. März 2023 gingen 30 Personen zu insgesamt 34 Polizeiposten in 21 Kantonen, um Anzeige gegen sieben Hasskommentare aus dem Internet zu erstatten. Diese nahmen sie in ausgedruckter Form mit zum Posten.
Journalismus als Polizeiarbeit?
Journalismus ist keine Strafverfolgung. Als Journalist:innen arbeiten wir in der Regel nicht mit der Polizei zusammen und teilen keine Informationen mit ihr – auch dann nicht, wenn wir von potenziellen Straftaten erfahren. Unsere Aufgabe ist es nicht, das Gesetz durchzusetzen, sondern Missstände aufzudecken und Zusammenhänge zu verstehen.
Um herauszufinden, wie die Verfolgung von Hassverbrechen im Internet funktioniert, gibt es keinen anderen Weg, als selbst Anzeige zu erstatten. Deswegen entschieden wir uns in dieser Recherche trotzdem dafür, möglichst justiziable Kommentare zu dokumentieren und anzuzeigen. Im Fokus standen dabei nicht die Kommentarschreiber:innen, sondern Behörden und ihre Arbeit. Diese Spannung diskutierten wir im Team ausführlich.
Bei den Kommentaren handelt es sich um rassistische, antisemitische und queerfeindliche Kommentare. Vier der sieben Äusserungen wurden unter Klarnamen veröffentlicht. Eine davon stand in der Kommentarspalte eines Zürcher Medienunternehmens, die restlichen auf Social-Media-Plattformen mit Sitz in den USA. Eine richtete sich direkt gegen einen Hilfsreporter.
Unmittelbar nachdem sie bei der Polizei waren, erstellten die Hilfsreporter:innen ausführliche Gedächtnisprotokolle, in denen sie festhielten, was sie auf dem Posten erlebt haben. Diese wertete RELFEKT anschliessend aus.
Korrigendum 21.06.2024: In einer früheren Version dieses Texts wurde die eidgenössische Kommission gegen Rassismus fälschlicherweise als Verwaltungsstelle, die dem Departement des Inneren unterstellt ist, bezeichnet. Diesen Fehler haben wir behoben.
Reagierte die Polizei in deinem Kanton richtig 🟩 oder falsch 🟥?
Aargau
🟥 Stützpunkt Aarau (Kantonspolizei)
«Werden Sie lieber politisch aktiv»: Von der Anzeige wurde abgeraten
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Aarau habe der Polizist der Anzeigestellerin klargemacht, dass eine solche Anzeige einen grossen Aufwand bedeute. Ein zweiter Beamter habe sich der Sache angenommen und gemeint, es sei zwar ihr Recht, aber sie solle sich das gut überlegen. Die Erfolgschancen von Ermittlungen bei unbekannter Täterschaft seien gering und der bürokratische Aufwand gross. Er wisse zudem nicht genau, wie vorgehen. Ausserdem sei es für die Anzeigestellerin unpraktisch, da sie sich nicht in ihrem Wohnkanton befinde. Der Beamte habe der Anzeigestellerin daher geraten, besser politisch aktiv zu werden oder sich an NGOs zu wenden und mit einem solchen Anliegen nicht zur Polizei zu gehen. Daraufhin habe sie den Polizeiposten verlassen.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler sagt: «Für das Aufnehmen der Anzeige spielt es keine Rolle, wie gross die Chancen auf eine erfolgreiche Ermittlung sind.» Es gebe zudem auch im Internet viele Möglichkeiten, Täter:innen zu identifizieren. Hingegen sei es richtig, der Anzeigestellerin eine realistische Einschätzung der Ermittlungsaussichten zu geben.
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Aargau, es sei kein solcher Vorfall erfasst worden. Sie schreibt: «Unsere Mitarbeitenden sind angewiesen, sämtliche Anzeigen entgegenzunehmen, sofern es sich nicht offensichtlich um Anzeigen handelt, die keinen strafrechtlichen Bezug haben.» Zudem erfasse die Polizei seit 2022 Hate-Crime-Delikte und schule Mitarbeitende im Umgang mit diesen.
Appenzell Ausserrhoden
🟩 Polizeiposten Herisau (Kantonspolizei)
Untersuchung bei Social-Media-Plattform: Anzeige entgegengenommen, an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Herisau habe der Beamte alle Kommentare genau angeschaut und bei drei Kommentaren empfohlen, diese nicht zur Anzeige zu bringen, weil das wohl «versanden» würde. Die weiteren Kommentare habe er zunächst mit dem Staatsanwalt abklären wollen. Bei einem Kommentar, der direkt gegen den Anzeigesteller gerichtet ist, habe dieser direkt einen Strafantrag einreichen können.
Mindestens einer der Kommentare wurde an die Staatsanwaltschaft in Bern rapportiert. Das Verfahren wegen des Kommentars, der den Anzeigesteller direkt betrifft, wurde drei Monate später von der Staatsanwaltschaft Bern wegen «unbekannter Täterschaft» sistiert. Die Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden hatte in dieser Sache ein Ersuchen beim Betreiber der Social-Media-Plattform eingereicht, um an Informationen zum Profil des Täters zu gelangen – allerdings erfolglos. Über den Stand der anderen Verfahren wurde der Anzeigesteller nicht informiert.
Appenzell Innerrhoden
🟥 Polizeiposten Appenzell (Kantonspolizei)
Anzeige nicht entgegengenommen: Zuständig seien «die grossen Kantone»
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Appenzell Innerrhoden sei dem Anzeigesteller mitgeteilt worden, in dieser Sache werde hier voraussichtlich nicht ermittelt. Für solche Straftaten seien die grossen Kantone zuständig. Einige Tage später habe sich ein Polizist telefonisch beim Anzeigesteller gemeldet und ihm mitgeteilt, dass er keine Anzeige erstatten könne, weil er nicht persönlich Opfer der Kommentare sei. Er solle diese bei den Plattformen melden.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler sagt dazu: «Die Grösse des Kantons tut gar nichts zur Sache, ob er zuständig ist oder nicht. Die Zuständigkeit richtet sich allein nach dem Tatort.» Bei Artikel 261bis handle es sich zudem um eine Straftat gegen Kollektivinteressen. In solchen Fällen gebe es keine einzelne geschädigte Person, die Anzeige erstatten könnte, da sich die Tat gegen die ganze Gemeinschaft richtet.
Die Kantonspolizei Appenzell Innerrhoden schreibt auf Anfrage: «Der damals handelnde Polizist nahm mit dem Meldeerstatter Kontakt auf und kam zum Schluss, dass nichts Strafrelevantes vorgefallen war. Dies wurde dem Meldeerstatter so erklärt und seitens der Kapo AI drängten sich keine weiteren Massnahmen auf.»
Basel-Land
🟩 Polizeihauptposten Allschwil
Nicht dringend, aber strafbar: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Allschwil habe der Beamte die Kommentare angeschaut, den Kopf geschüttelt und mit den Schultern gezuckt. Irgendwann habe er gesagt: «Ich glaube, das ist nicht strafbar.» Der Beamte habe nach kurzer Diskussion eingelenkt und erkannt, was mit dem Kommentar gemeint sei. Am Ende habe er gemeint, er müsse die Kommentare aufnehmen und intern mit den zuständigen Expertinnen und Experten abklären, was zu tun sei. Er fügte an, ein solches Anliegen werde nicht prioritär behandelt, weil es «nicht so dringend» sei.
In mindestens einem Fall wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt übernommen und ist dort nach unserem letzten Kenntnisstand (03.08.2023) hängig. Auf Nachfragen zum aktuellen Stand der Ermittlungen gibt die Staatsanwaltschaft keine Auskunft.
Basel-Stadt
🟩 Polizeiposten Gundeldingen
Verfahren eingeleitet: Anzeige entgegengenommen und Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten im Basler Gundeldinger Quartier sei die Anzeige nach einigem Zögern aufgenommen worden, obwohl der Beamte bei manchen Kommentaren gesagt habe, sie seien seiner Meinung nach nicht strafbar.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt hat einen Beschuldigten ermittelt und ein Strafverfahren gegen diese Person eröffnet. Das Verfahren ist nach unserem letzten Kenntnisstand (08.02.2024) hängig.
Bern
🟩 Polizeiposten Köniz (Kantonspolizei)
Anzeige entgegengenommen aber Strafverfahren gegen Hilfsreporterin eröffnet
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Köniz habe die Anzeigestellerin eine Stunde warten müssen, bis ein Beamter die Anzeige habe aufnehmen wollen. Während die Anzeigestellerin davon ausgegangen sei, dass er im Büro die Anzeige bearbeite, habe der Beamte im Internet über sie recherchiert. Auf Instagram habe er ein Bild aus dem Jahr 2021 gefunden, auf dem die Anzeigestellerin mit Militärhose der Schweizer Armee an einer Kostümparty zu sehen sei. Der Beamte habe sie wissen lassen, dass sie zwei Tage später nochmal zur Einvernahme erscheinen solle. Worum es dabei genau gehe, habe er ihr nicht sagen wollen. Sie sei dieser Anweisung gefolgt. Bei ihrem zweiten Besuch auf dem Posten habe ihr der Beamte erklärt, die Anzeige werde entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Allerdings sei gegen die Anzeigestellerin selbst ebenfalls ein Verfahren eröffnet worden. Wegen «unerlaubten Tragens der Schweizerischen Armeeuniform». Als sie kurz habe auflachen müssen, habe der Polizist gesagt: Das sei ernst, es sei ein Offizialdelikt, und es gebe nichts zu lachen. Die Anzeigestellerin wurde verurteilt und musste eine Busse in Höhe von 100 Franken bezahlen.
Für diese sogenannte «fishing expedition», also eine Ermittlung gegen eine Person ohne Anfangsverdacht, habe es in dieser Situation keine Rechtsgrundlage gegeben, sagt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler.
Die Kantonspolizei Bern schreibt auf Anfrage: «Uns ist es generell ein wichtiges Anliegen, dass Betroffene einfach Anzeige erstatten können und gut betreut werden. Wir sehen jedoch grundsätzlich davon ab, einzelne Aussagen oder Vorgehensweisen von Mitarbeitenden zu kommentieren, da wir die jeweiligen Umstände/Situationen nicht kennen und nicht dabei waren.»
In mindestens einem Fall wurde ein Verfahren eröffnet, das gemäss unserem letzten Kenntnisstand (05.09.2023) hängig ist.
🟩 Polizeiposten am Waisenhausplatz, Bern
Ertappter Hilfsreporter: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In der Stadt Bern habe die Beamtin das Anliegen des Anzeigestellers ernstgenommen und das potenzielle Offizialdelikt erkannt Allerdings habe sie kurz darauf gemerkt, dass ein identisches Dossier bereits an anderer Stelle zur Anzeige gebracht worden ist, weshalb der Anzeigesteller die Anzeige zurückgezogen habe und nicht mehr über weitere Schritte informiert worden sei. Die Polizistin habe dem Anzeigesteller später per Telefon versichert, dass sie einen Bericht an die Staatsanwaltschaft geschrieben habe.
🟥 Polizeiwache Thun (Kantonspolizei)
Ermittlungen zu schwierig: Anzeige entgegengenommen, einige Monate später nicht mehr auffindbar
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Die Polizistin habe gleich klargemacht, dass die Erfolgschancen gering seien, weil gerade die grossen Plattformen kaum Informationen herausgeben würden. Selbst bei Profilen mit Klarnamen könne sie nicht davon ausgehen, dass hinter dem Profil tatsächlich die Person mit diesem Namen stehe. Dem Anzeigesteller sei nicht klar gesagt worden, ob nun eine Anzeige aufgenommen werde oder nicht, es seien aber seine Personalien aufgenommen worden. Als er sich einige Monate später auf dem Polizeiposten nach dem Stand der Ermittlungen erkundigt habe, habe die Anzeige nicht mehr gefunden werden können.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler sagt: «Ein Profilname kann durchaus ein Ansatzpunkt für Ermittlungen sein, der bei einem Anfangsverdacht verfolgt werden sollte.»
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Bern: «Wir können bestätigen, dass 30. März 2023 am Schalter der Polizeiwache Thun keine Anzeige diesbezüglich aufgenommen wurde.» Es sei möglich, dass eine Person am Schalter den Sachverhalt schilderte und man nach ersten Abklärungen zum Schluss kam, dass es sich nicht um ein Delikt handle oder dass es sich um ein Antragsdelikt handle, und kein Strafantrag gestellt wurde.
🟩 Polizeiwache Langenthal (Kantonspolizei)
«Kommen Sie wieder»: Anzeige entgegengenommen, Verfahren eingeleitet
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Langenthal habe der Beamte das Anliegen der Anzeigestellerin sehr ernst genommen. Er habe bei jedem der Kommentare mithilfe eines Vorgesetzten abgeklärt, ob eine potenzielle Straftat vorliege. Er werde Ermittlungen aufnehmen und alle Kommentare in einem internen Dossier sammeln. Je dicker dieses Dossier sei, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass etwas unternommen werde. Vier der sechs Kommentare rapportierte er an die Staatsanwaltschaft. Am Ende ermutigte er die Anzeigestellerin, jederzeit wiederzukommen, wenn sie so etwas im Internet sehe. Sie solle die angezeigten Kommentare zudem nicht bei den Plattformen melden, damit diese für die Ermittlungen weiterhin erreichbar bleiben.
Die Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau eröffnete mindestens ein Verfahren, sistierte es jedoch wegen unbekannter Täterschaft.
Freiburg
🟥 Polizeiposten Route des Arsenaux, Fribourg (Kantonspolizei)
«Schon Krasseres gesehen»: Anzeige mit falscher Begründung verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In der Stadt Fribourg habe die Polizistin als erstes gefragt, ob der Anzeigesteller von den Kommentaren, die er anzeigen wolle, betroffen sei. Als dieser verneint habe, habe sie gesagt, er könne keine Anzeige erstatten. Auch eine kurze Diskussion habe die Beamtin nicht umstimmen können. Wenn sie solche Kommentare per Whatsapp erhalten würde, würde sie die einfach löschen und nicht zur Polizei gehen, habe sie gesagt. Sie habe angemerkt, dass sie die Aussagen nicht so schlimm finde und dass diese durch die Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt seien. Sie wisse zudem nicht, ob die Profilnamen den echten Namen der Personen entsprächen. Ausserdem habe sie schon krassere Sachen im Internet gesehen. Am Ende habe sie dem Anzeigesteller vorgeschlagen, er solle sein Anliegen direkt bei der Staatsanwaltschaft platzieren. Sie habe ihm dabei klargemacht, dass auch das nichts bringen werde. Sie könne die Anzeige jedenfalls nicht an die Staatsanwaltschaft übermitteln, er müsse das selbst machen. Sie habe ihm daraufhin einen ausgedruckten Strafantrag ausgehändigt und gesagt, den könne er per E-Mail einschicken. Auf dem Formular steht: «Anträge werden per E-Mail nicht entgegengenommen.»
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler erklärt, es handle sich bei Artikel um eine Straftat gegen das Kollektivinteresse. In solchen Fällen gebe es keine geschädigte Person, die Anzeige erstatten könnte, da sich die Tat gegen die ganze Gemeinschaft richtet.
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Fribourg: «Die Anzeige hätte am besagten Tag aufgenommen werden müssen. Wenn diese direkt bei der Staatsanwaltschaft hätte eingereicht werden sollen, dann nur durch persönliche Vorsprache oder auf postalischem Weg. Die Kantonspolizei Freiburg nimmt die Behandlung von Rassismus- und Diskriminierungsfragen sehr ernst. […] Weiter ist zu erwähnen, dass die Kantonspolizei Mitglied mehrerer Arbeitsgruppen im Zusammenhang mit Rassismus ist.»
Glarus
🟥 Polizeistützpunkt Glarus (Kantonspolizei)
Straftatbestand unklar: Anzeige verweigert und an Staatsanwaltschaft verwiesen
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Glarus sei der Anzeigesteller freundlich begrüsst und ernst genommen worden. Die Polizistin am Schalter habe die Anzeige aber nicht entgegennehmen wollen. Sie sei nicht sicher gewesen, um welche Straftaten es sich dabei genau handeln könnte, und habe den Anzeigesteller an die Staatsanwaltschaft verwiesen.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler sagt: «Die Polizei ist der richtige Ort, um Anzeige zu erstatten. Es wäre die Aufgabe der Behörde, eine Anzeige an die zuständige Stelle weiterzuleiten.»
Konfrontiert mit unserer Recherche, stellte die Kantonspolizei Glarus den Vorfall anders dar. Die Polizistin sei bereit gewesen, die Anzeige entgegenzunehmen, habe den Anzeigesteller aber gebeten, den «Sachverhalt niederzuschreiben und mit den beigebrachten Dokumenten schriftlich zur Anzeige zu bringen».
Graubünden
🟥 Polizeiposten Chur (Kantonspolizei)
Kein Bezug zum Kanton, kein Verfahren: Anzeige geprüft, nach Rücksprache mit Staatsanwaltschaft verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Chur sei das Anliegen der Anzeigestellerin sehr ernst genommen worden. Der Polizist am Schalter habe alles genau durchgelesen. Er habe abklären wollen, was zu tun sei, und die Vorfälle mit der Cybercrime-Abteilung anschauen. Er habe erklärt, dass er bei jedem der Kommentare abklären müsse, ob er ausreiche, um Ermittlungen aufzunehmen. Einen Tag später habe er sich telefonisch gemeldet und die Anzeigestellerin wissen lassen, dass gemäss Staatsanwaltschaft keine der Personen hinter den Kommentaren einen Bezug zum Kanton Graubünden aufweisen. Man werde daher kein Verfahren eröffnen. Der Polizist habe aber angegeben, dass er die Vorfälle an den Nachrichtendienst melden werde.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler erklärt: «Wenn die Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte hat, dass es einen Bezug zu einem anderen Kanton gibt, müssten sie den Fall weiterreichen. Wenn sie keine Ahnung haben, woher der Post stammt, dann müssten sie Ermittlungen anstellen, bis sie weitere Anhaltspunkte haben. Ist nur der Name des Absenders bekannt und sie wissen noch nicht, wo in der Schweiz die Tat begangen wurde, dann ist es für den Moment in der Zuständigkeit des Kantons, wo die Anzeige einging.»
Auf Anfrage antwortet die Kantonspolizei Graubünden, man könne den Vorfall nicht mehr rekonstruieren und daher auch nicht kommentieren.
🟥 Polizeiposten Thusis (Kantonspolizei)
«Dickere Haut zulegen»: Anzeige geprüft, nach Rücksprache mit Staatsanwaltschaft verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Thusis habe der Polizist mit der Staatsanwaltschaft abgeklärt, ob es sich um potenzielle Straftaten handle. Diese hätten entschieden: Die Kommentare reichten nicht aus, um in die Privatsphäre der beschuldigten Personen einzugreifen. Daher könne der Polizist nicht ermitteln. Zum Abschluss sagte er, der Anzeigesteller solle sich eine «dickere Haut» zulegen, dies aber nicht falsch verstehen. Sie hätten bei der Polizei zu wenig Personal für solche Dinge. Erst wenn eine Person interkantonal bekannt sei, werde man über die Kantonsgrenzen hinaus Ermittlungen anstrengen.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler erklärt: «Zumindest bei den klaren Fällen wäre es richtig, Ermittlungen zu machen und bei Ermittlungen greift man immer in die Grundrechte der beschuldigten Person ein.» Andernfalls hätte eine anfechtbare Verfügung zur Nichtanhandnahme erlassen werden müssen.
Die Kantonspolizei Graubünden verwies auf Anfrage an die Staatsanwaltschaft. Diese konnte den Vorfall nicht mehr zuordnen und wollte daher keine Stellung dazu nehmen.
Luzern
🟩 Polizeiposten Eschenbach (Kantonspolizei)
«Vernunft walten lassen»: Anzeige entgegengenommen, Verfahren eingeleitet
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Der Beamte auf dem Polizeiposten in Eschenbach habe sich Zeit genommen, um die Kommentare einen nach dem anderen anzuschauen und zu prüfen, ob eine Verletzung der Diskriminierungsstrafnorm vorliegen könnte. Er habe nicht genau gewusst, was zu tun sei, habe sich aber bei seinem Vorgesetzten erkundigt und sich um die Anzeige gekümmert. Er habe gefunden, die Sache sei ein zweischneidiges Schwert: Man solle Vernunft walten lassen und nicht zu extrem sein. Ändern werde eine solche Anzeige zudem nicht besonders viel.
Die Anzeige wurde an die Staatsanwaltschaft rapportiert. Dort wurde ein Verfahren eröffnet, jedoch wieder sistiert, da bisher keine Täterschaft ermittelt werden konnte.
🟧 Polizeiposten Hirschengraben, Luzern (Kantonspolizei)
Antragsdelikt statt Offizialdelikt: Anzeige in Absprache mit Staatsanwaltschaft verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In der Stadt Luzern sei eine Beamtin zunächst mit dem Anliegen der Anzeigestellerin überfordert gewesen. Ein Beamter habe die Anzeigestellerin daraufhin in ein Zimmer geführt, wo er ihren Ausweis habe sehen wollen; diesen habe er mit einer Datenbank abgeglichen und gefragt, ob die Angaben darin, etwa zu ihrem Familienstand, noch stimmten. Er habe die Kommentare und die Anzeige ernst genommen und Abklärungen eingeleitet. Er sei unsicher gewesen, ob die Staatsanwaltschaft so etwas verfolgen würde, die Ermittlungen seien sehr schwierig. Es sei zudem einfacher, Ermittlungen einzuleiten, wenn es um Geld gehe. Er habe der Anzeigestellerin schliesslich angeboten, dass er zunächst mit der Staatsanwaltschaft sprechen werde, bevor sie eine Anzeige mache. Einige Tage später habe er telefonisch mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft zum Schluss gekommen sei, es handle sich nicht um ein Offizialdelikt, sondern um eine Beschimpfung. Daher werde sie kein Verfahren einleiten. Die Anzeigestellerin könne dennoch Anzeige erstatten. Sie entschied sich dagegen, weil ihr das aussichtslos erschien. Er habe einen «Eintrag» zum Vorfall gemacht, der für andere Polizeien einsehbar sei.
Monika Simmler sagt: «Die gesammelten Kommentare sind teilweise klar strafbar nach 261bis, teilweise Grenzfälle. Eindeutig ist: Ein Anfangsverdacht ist vorhanden. Man müsste die Anzeige entgegennehmen und genauer prüfen.»
Auf Anfrage sagt die Staatsanwaltschaft Luzern: «Wenn eine Person an einem Schalter eine Anzeige einreichen will, ist das möglich. Regelmässig prüft der zuständige Sachbearbeiter der Polizei die Situation kurz mit einem Staatsanwalt ab, welcher im Pikettdienst ist. Uns ist keine Anzeige bekannt, welche eingegangen ist. Zu solchen Abklärungen werden keine Notizen geführt.» Den konkreten Vorfall könne sie nicht rekonstruieren und daher nicht kommentieren.
Nidwalden
🟩 Polizeiposten Stans (Kantonspolizei)
Nach 14 Monaten: Anzeige entgegengenommen, Verfahren bei Polizei hängig
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Stans sei der Anzeigesteller von zwei Beamten nacheinander informiert worden, dass er keine Anzeige erstatten könne, wenn er nicht direkt betroffen sei. Nach längerem Diskutieren habe sich einer der Polizisten der Sache dann doch angenommen und habe abklären wollen, ob die Kommentare strafbar seien und ob die Anzeige von einer Person, die nicht betroffen sei, doch möglich sei. Bei einem späteren Anruf habe die Polizei mitgeteilt, die Staatsanwaltschaft sei nun zuständig.
Der Staatsanwaltschaft Nidwalden ist allerdings keine Anzeige bekannt. Sie teilt mit, ein Ermittlungsverfahren wegen Diskriminierung und Aufrufs zu Hass nach Art. 261bis StGB sei bei der Polizei noch hängig. Es sei noch nicht an die Staatsanwaltschaft rapportiert worden.
Obwalden
🟩 Polizeiposten Sarnen (Kantonspolizei)
Anstandslos: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Sarnen sei die Anzeige anstandslos entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft rapportiert worden.
Ob ein Verfahren eingeleitet wurde, teilt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage nicht mit. Sie schreibt nur: «Generell kann ich Ihnen mitteilen, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft bei Verstössen gegen die Rassismusstrafnorm wie auch bei allen anderen strafbaren Handlungen mit gleicher Sorgfalt ermittelt bzw. untersucht.»
Schaffhausen
🟩 Polizeiposten Beckenstube, Schaffhausen
Abgeschlossenes Verfahren: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Der Beamte auf dem Polizeiposten in Schaffhausen habe sich die Kommentare gründlich angeschaut und sei zugänglich gewesen. Der Anzeigesteller habe sich ernst genommen gefühlt. Die Anzeige sei aufgenommen und an die Staatsanwaltschaft rapportiert worden. Diese habe ein Strafverfahren eingeleitet und mit einem Entscheid abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft teilte nicht mit, um was für einen Entscheid es sich handelt.
Schwyz
🟥 Polizeiposten Einsiedeln (Kantonspolizei)
Beratungsresistenter Beamter: Anzeige mit falscher Begründung verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Einsiedeln sei das Anliegen der Anzeigestellerin nicht ernstgenommen worden. Der Polizist habe etwas zum Straftatbestand der Ehrverletzung recherchiert und gesagt, dass diesen Tatbestand nur Personen anzeigen könnten, die selbst betroffen seien. Auf den Hinweis, dass es sich um die Diskriminierungsstrafnorm 261bis handle, sei er nicht weiter eingegangen. Die Anzeigestellerin habe daraufhin den Polizeiposten verlassen, ohne die Anzeige eingereicht zu haben.
Das Vorgehen des Beamten war nicht korrekt. Mehrere Expertinnen und Experten bestätigen, dass es sich bei den vorgelegten Kommentaren um potenzielle Verstösse gegen die Diskriminierungsstrafnorm handelt.
Die Kantonspolizei Schwyz teilte auf Nachfrage mit, es sei ihr nicht möglich, den Vorfall zuzuordnen. Sie könne daher nicht Stellung nehmen. Sie schreibt: «dass im Rahmen des Qualitätsmanagements festgestellte Wissenslücken in den korpsinternen Verbesserungsprozess einfliessen und entsprechend thematisiert werden.»
🟩 Polizeiposten Höfe, Pfäffikon (Kantonspolizei)
Fragen über Fragen: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Pfäffikon sei der Polizist etwas ratlos gewesen, was er mit der Anzeige tun solle. Bei einem Beispiel habe er gefragt, was daran denn rassistisch sei. Die Anzeigestellerin habe erklärt, es handle sich dabei um Antisemitismus. Der Polizist habe daraufhin unter anderem wissen wollen, woher sie die Kommentare habe, ob sie extra danach gesucht habe, wo sie wohne und was sie arbeite. Er habe die Anzeige entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft rapportiert.
Diese teilt auf Anfrage mit, sie habe das Verfahren nach 9 Monaten an die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft abgetreten.
St. Gallen
🟩 Polizeiposten Vadianstrasse, St. Gallen (Stadtpolizei/Kantonspolizei)
Genug Fleisch am Knochen: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in St. Gallen habe sich eine Polizistin Zeit genommen, das Strafgesetzbuch zu konsultieren. So habe sie herausgefunden, dass es sich bei 261bis um ein Offizialdelikt handle. Sie habe zunächst die Staatsanwaltschaft konsultieren wollen, ob genug «Fleisch am Knochen» sei, um Ermittlungen einzuleiten. Nach diesen Abklärungen habe sie telefonisch mitgeteilt, sie nehme die Anzeige auf und rapportiere an die Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwaltschaft teilt auf Anfrage mit, sie habe in zwei Fällen eine Nichtanhandnahmeverfügung erlassen. In einem Fall wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft eines anderen Kantons abgetreten.
🟩 Polizeistation Uzwil (Kantonspolizei)
Nach Hin und Her: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Uzwil habe eine Polizistin der Anzeigestellerin gesagt, dass eine Anzeige nichts bringe, wenn sie nicht selbst geschädigt sei. Ein Polizist habe darüber aufgeklärt, dass man bei solchen Kommentaren oft nichts machen könne, weil die Social-Media-Plattformen ihren Sitz in den USA hätten und die Kommentare unter falschem Namen geschrieben würden. Er habe alles mit der Staatsanwaltschaft abgeklärt. Später habe er die Anzeigestellerin telefonisch an die Plattform reportonlineracism.ch verwiesen. In einem weiteren Telefonat habe er sie wissen lassen, dass er das Ganze nun doch an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet habe.
Die Staatsanwaltschaft teilt auf Anfrage mit, sie habe in zwei Fällen eine Nichtanhandnahmeverfügung erlassen. In einem Fall wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft eines anderen Kantons abgetreten.
Solothurn
🟩 Quartierpolizei Grenchen (Kantonspolizei)
Dank Beharrlichkeit: Anzeige entgegengenommen und an Staatsanwaltschaft rapportiert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Grenchen sei der Polizist am Schalter zunächst mit der Anzeige überfordert gewesen. Er habe sich kurz in ein Selbstgespräch darüber verwickelt, dass Jesiden und Jesidinnen ja christlichen und nicht muslimischen Glaubens seien (was jedoch nicht zutrifft Anm. d. Red.). Er habe der Anzeigestellerin gesagt, das Internet sei voll mit solchen Sachen und warum sie ausgerechnet diese Kommentare anzeigen wolle. Nach einer Diskussion habe er gesagt, er werde abklären, was er tun könne. Nach den Abklärungen habe der Polizist festgestellt, dass eine Anzeige möglich sei.
Er habe diese an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Digital-technische Abklärungen hätten zudem zu Ansätzen in Kanton Basel-Stadt und im Kanton Bern geführt. Nachfragen bei der Staatsanwaltschaft zum Stand des Verfahrens blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
🟥 Regionenposten Olten (Kantonspolizei)
Anzeige verweigert: Beamtin schickt Anzeigestellerin zur Staatsanwaltschaft
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Olten habe eine Polizistin der Anzeigestellerin geraten, die Kommentare bei den Plattformen selbst zu melden. Für die Polizei seien Abklärungen schwierig, weil es sich oft um Fake-Profile handle und die Anzeigenstellerin ausserdem nicht selbst betroffen sei. Wolle sie dennoch Anzeige erstatten, was ihr Recht sei, solle sie direkt über die Staatsanwaltschaft gehen.
Dazu sagt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler: «Die Polizei ist der richtige Ort, um Anzeige zu erstatten. Es wäre die Aufgabe der Behörde, eine Anzeige an die zuständige Stelle weiterzuleiten.»
Auf Nachfrage schreibt die Kantonspolizei Solothurn: «Ein Kundenkontakt – wie von Ihnen beschrieben – ist nicht bekannt. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass die Kundenfrequenz am Empfang der jeweiligen Polizeiposten in aller Regel recht hoch ist und es schon deshalb für die am Schalter eingesetzten Personen praktisch unmöglich ist, sich an alle vorsprechenden Personen und deren Anliegen erinnern zu können.»
Thurgau
🟥 Polizeiposten Frauenfeld (Kantonspolizei)
Kommentare im Internet? «Nicht sicher, ob wir zuständig sind»
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Frauenfeld sei der Polizist zunächst unsicher gewesen, ob eine Person, die nicht direkt betroffen sei, Anzeige erstatten könne. Er habe sich aber vom Anzeigesteller überzeugen lassen. Der Beamte habe gesagt, diese Kommentare seien ja im Internet und eigentlich in der Verantwortung der Plattformen und Medienhäuser. Er sei nicht sicher, ob die Polizei zuständig sei. Nach einigen Abklärungen habe der Polizist den Anzeigesteller angerufen und ihm geraten, einen der Kommentare bei der Staatsanwaltschaft Zürich zur Anzeige zu bringen.
Monika Simmler sagt: «Die gesammelten Kommentare sind teilweise klar strafbar, teilweise Grenzfälle. Eindeutig ist: Ein Anfangsverdacht ist vorhanden. Man müsste die Anzeige entgegennehmen und genauer prüfen.» Für die Weiterleitung der Anzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft sei zudem die Polizei zuständig, nicht der Anzeigesteller.
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Thurgau: «Der Polizist hat diese Artikel intern zur Einschätzung weitergeleitet. Die Abklärungen ergaben, dass nicht abschliessend beurteilt werden kann, ob die Inhalte der Artikel gegen den Art. 261 StGB verstossen.» Zudem sei dem Anzeigesteller empfohlen worden «eine schriftliche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Zürich einzureichen, da die Zuständigkeit („Tatort“) zum Inhalt der Zeitungen im Kanton Zürich liegt.» Dieser Sachverhalt sei im polizeilichen Einsatzjournal festgehalten worden.
Uri
🟥 Polizeiposten Altdorf (Kantonspolizei)
«In welchen Kreisen bewegen Sie sich?»: Von Anzeige abgeraten, an Meldeplattform verwiesen
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Der Beamte habe alle Kommentare angeschaut und die Anzeigestellerin sehr ausführlich befragt. So habe er etwa wissen wollen, wo sie gewesen sei, als sie die Kommentare gesehen habe, und wann das genau gewesen sei. Als sie darauf keine Antwort gewusst habe, habe sich der Beamte bei der Kriminalpolizei erkundigt, wie er eine Anzeige ohne Tatort und Tatzeit eröffnen könne. Er habe der Anzeigestellerin zudem davon abgeraten, Anzeige zu erstatten, wenn sie nicht selbst betroffen sei. Der Polizist habe auch gefragt, in welchem «Kollegenkreis» sich die Anzeigestellerin bewege und was sie studiere. Auf die Frage, warum er das wissen müsse, antwortete er, er müsse «also noch viel von ihr wissen». Zum Abschluss habe er betont, wie schwierig es sei, die Täterschaft in solchen Fällen ausfindig zu machen. Später habe er der Anzeigestellerin telefonisch geraten, die Kommentare bei der Plattform reportonlineracism.ch zu melden und die Strafanzeige zurückzuziehen. Diesem Rat sei die Anzeigestellerin gefolgt.
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Uri: «Das Erscheinen der Person und die Schilderung ihres Anliegens wurde im Journal vermerkt. Die Anzeigeerstatterin wurde […] auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre Feststellungen alternativ auf der Plattform www.reportonlineracism.ch zu melden […]. Sie wurde darauf hingewiesen, dass sie selbstverständlich auch an der Anzeige auf dem Polizeiposten festhalten kann. Die Anzeigeerstatterin hatte anschliessend ihren Strafantrag zurückgezogen. […] Es ist heute leider nicht mehr eruierbar, welche Fragen der Polizeiangehörige damals warum gestellt hatte.»
Wallis
🟩 Polizeiposten Visp (Kantonspolizei)
Tatort nicht im Wallis: Anzeige entgegengenommen, Verfahren eingestellt
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Visp seien die Anzeigen anstandslos entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden.
Auf Anfrage teilt die Kantonspolizei Wallis mit, die Ermittlungen seien zwar aufgenommen, aber mit einem administrativen Bericht wieder zu den Akten gelegt worden, da der Tatort nicht im Wallis sei.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler erklärt: «Wenn die Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte hat, dass es einen Bezug zu einem anderen Kanton gibt, müssten sie den Fall weiterreichen. Wenn sie keine Ahnung haben, woher der Post stammt, dann müssten sie Ermittlungen anstellen, bis sie weitere Anhaltspunkte haben. Ist nur der Name des Absenders bekannt und sie wissen noch nicht, wo in der Schweiz die Tat begangen wurde, dann ist es für den Moment in der Zuständigkeit des Kantons, wo die Anzeige einging.»
🟩 Polizeiposten Salgesch (Kantonspolizei)
Tatort nicht im Wallis: Anzeige entgegengenommen, Verfahren eingestellt
Die Anzeige wurde entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft rapportiert. Die Ermittlungen wurden eingestellt, weil ein Bezug zum Wallis fehlte.
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Salgesch seien die Anzeigen anstandslos entgegengenommen und an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden.
Auf Anfrage teilt die Kantonspolizei Wallis mit, die Ermittlungen seien zwar aufgenommen, aber mit einem administrativen Bericht wieder zu den Akten gelegt worden, da der Tatort nicht im Wallis sei.
Strafrechtsprofessorin Monika Simmler erklärt: «Wenn die Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte hat, dass es einen Bezug zu einem anderen Kanton gibt, müssten sie den Fall weiterreichen. Wenn sie keine Ahnung haben, woher der Post stammt, dann müssten sie Ermittlungen anstellen, bis sie weitere Anhaltspunkte haben. Ist nur der Name des Absenders bekannt und sie wissen noch nicht, wo in der Schweiz die Tat begangen wurde, dann ist es für den Moment in der Zuständigkeit des Kantons, wo die Anzeige einging.»
Zug
🟥 Polizeiposten an der Aa, Zug (Kantonspolizei)
Lücke im Strafrecht oder Bildungslücke? Anzeige mit falscher Begründung verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in der Stadt Zug habe die Polizistin die Anzeigestellerin gefragt, ob sie geschädigt sei. Als diese verneint habe, habe die Beamtin erklärt, eine Anzeige könne nur von der geschädigten Person erstattet werden. Ausserdem müssten sich die Kommentare explizit gegen eine Person richten, sonst werde sich keine Staatsanwaltschaft der Ermittlungen annehmen. Das sei eine Lücke im Strafrecht, dass das Gesetz nicht auf die Verbreitung von Hass im Netz ausgelegt sei.
Das ist falsch. Der Artikel 261bis im Strafgesetzbuch schützt ausdrücklich vor der Verbreitung von Hass, auch im Internet. Er setzt zudem keine geschädigte Person voraus, da sich der Hass gegen die Allgemeinheit richtet. Aus diesem Grund handelt es sich um ein Offizialdelikt und jede Person kann Anzeige erstatten.
Auf Anfrage schreibt die Kantonspolizei Zug, man könne den genauen Vorfall nicht mehr zuordnen. Sie versichert jedoch, «dass Mitarbeitende sehr sorgsam mit diesem Thema umgehen und regelmässig Aus- und Weiterbildungen in diesem Bereich stattfinden.»
Zürich
🟥 Polizeiposten Wallisellen (Kantonspolizei)
«Da schaut niemand hin»: Anzeige verweigert, fehlerhafte Begründung
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten in Wallisellen liegen laut Anzeigesteller Flyer zum Thema Cyberkriminalität auf. Die Polizistin am Schalter habe ihm dennoch gesagt, seine Anzeige werde wohl nicht verfolgt werden. Bei Anzeigen gegen Unbekannt schaue niemand hin. Auch bei den Posts, die unter Klarnamen veröffentlicht worden seien, sei nicht klar, ob das die richtigen Namen der Täter:innen seien. Sie habe empfohlen, die Kommentare bei den jeweiligen Plattformen zu melden. Sie werde keine Anzeige entgegennehmen, aber einen Journaleintrag zu den Vorfällen verfassen. Später habe die Polizei den Anzeigesteller telefonisch informiert: Wäre er selbst betroffen, hätte er Anzeige erstatten können.
Laut Strafrechtsprofessorin Monika Simmler handelt es sich bei Artikel 261bis um eine Straftat gegen das Kollektivinteresse. In solchen Fällen gebe es keine geschädigte Person, da sich die Tat gegen die ganze Gemeinschaft richte.
Die Kantonspolizei Zürich will aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zum konkreten Fall Stellung nehmen.
🟥 Polizeiposten Uster (Kantonspolizei)
Beweise gelöscht: Anzeige entgegengenommen, Monate später nicht mehr auffindbar
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Uster habe sich eine Polizistin viel Zeit für das Anliegen der Anzeigestellerin genommen und die einzelnen Kommentare nach Erfolgschancen kategorisiert. Sie sei der Meinung gewesen, nur einer der Kommentare verstosse deutlich gegen die Diskriminierungsstrafnorm und habe Chancen bei der Staatsanwaltschaft. Bezüglich Ermittlungschancen sei sie pessimistisch gewesen. Sie habe gesagt, dass sie es gut fände, Anzeige gegen solche Kommentare zu erstatten, es sei aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Zudem würde eine Anzeige die Täter sogar anspornen, weiterzumachen. Bei einem späteren Anruf sei der Anzeigestellerin versichert worden, dass die Polizei ermittle. Allerdings sei das Dossier mit den Kommentaren gelöscht worden, weswegen sie es nochmals schicken solle.
Die Kantonspolizei Zürich will aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zum konkreten Fall Stellung nehmen.
🟥 Regionalwache Aussersihl, Zürich (Stadtpolizei)
Polizei räumt Fehler ein: Anzeige mit falscher Begründung verweigert
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten der Stadtpolizei Zürich an der Militärstrasse habe der Polizist am Schalter die Anzeigestellerin mit der Begründung abgewimmelt, sie könne keine Anzeige erstatten, wenn sie nicht selbst betroffen sei. Er habe sich in dieser Ansicht nicht beirren lassen und keine weiteren Abklärungen getätigt.
Mit seiner Einschätzung liegt der Beamte falsch. Laut Strafrechtsprofessorin Monika Simmler handelt es sich bei Artikel 261bis um eine Straftat gegen das Kollektivinteresse. In solchen Fällen gebe es keine geschädigte Person, da sich die Tat gegen die ganze Gemeinschaft richte.
Auf Anfrage schreibt die Stadtpolizei Zürich, dass die Beamtinnen und Beamte die Anzeigen hätten entgegennehmen und entsprechende Abklärungen in die Wege leiten müssen. Bei mehreren der aufgeführten Fälle bestehe «zumindest ein Anfangsverdacht auf Strafbarkeit», was genauere Abklärungen rechtfertige. Die rechtliche Würdigung von Sachverhalten obliege nicht der Polizei, sondern den Strafuntersuchungsbehörden respektive den Gerichten. Die Polizei schreibt weiter: «Durch die jeweils vorgesetzten Stellen wird der Fall mit den beiden damals involvierten Polizisten nachbearbeitet.»
🟥 Regionalwache City, Zürich (Stadtpolizei)
«Das fällt unter Meinungsfreiheit»: Anzeige verweigert und an Beratungsstelle verwiesen
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: Auf dem Polizeiposten der Stadtpolizei Zürich am Bahnhofsquai sagte der Beamte, dass die Kommentare unter die Meinungsfreiheit fallen. Monika Simmler stellt fest: «Die gesammelten Kommentare sind teilweise klar strafbar, teilweise Grenzfälle. Eindeutig ist: Ein Anfangsverdacht ist vorhanden. Man müsste die Anzeige entgegennehmen und genauer prüfen.»
Der Polizist händigte der Anzeigestellerin stattdessen eine Visitenkarte der Organisation Brückenbauer aus. Deren Aufgabe: «Durch Kontakte zwischen der Polizei und den Menschen und Institutionen aus anderen Kulturen und Religionen Aufklärungsarbeit leisten und so das gegenseitige Verständnis fördern.» Und: «Wissen über die Aufgaben und Arbeiten der Polizei sowie über den Rechtsstaat, die Gesetze, unsere Kultur und Bräuche vermitteln.» Mit der Ahndung von Straftaten hat die Fachstelle nichts zu tun.
Auf Anfrage schreibt die Stadtpolizei Zürich, dass die Beamten und Beamtinnen die Anzeigen hätten entgegennehmen und entsprechende Abklärungen in die Wege leiten müssen. Bei mehreren der aufgeführten Fälle bestehe «zumindest ein Anfangsverdacht auf Strafbarkeit», was genauere Abklärungen rechtfertige. Die rechtliche Würdigung von Sachverhalten obliege nicht der Polizei, sondern den Strafuntersuchungsbehörden respektive den Gerichten. Die Polizei schreibt weiter: «Durch die jeweils vorgesetzten Stellen wird der Fall mit den beiden damals involvierten Polizisten nachbearbeitet.»
🟥 Polizeiposten Winterthur (Stadtpolizei Winterthur)
Spurlos verschwunden: Anzeige aufgenommen, Monate später nicht mehr auffindbar
Zusammenfassung Gedächtnisprotokoll: In Winterthur habe der Polizist am Schalter zunächst gefragt, ob der Anzeigesteller von den Hasskommentaren selbst betroffen sei. Als dieser entgegnet habe, ob er also nur Anzeige erstatten könne, wenn er dem Polizisten beweise, dass er homosexuell sei, habe der Beamte eingelenkt. Er habe jedoch betont, wie schwierig es sei, die Täterschaft ausfindig zu machen. Dann habe er dem Anzeigesteller Fragen zu seiner Person und seiner Absicht gestellt. Am Ende habe er die Anzeige entgegengenommen. Als der Anzeigesteller einige Monate später auf dem Posten angerufen habe, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkunden, habe man seine Anzeige im Rapportsystem nicht mehr finden können.
Auf Anfrage schreibt die Stadtpolizei Winterthur: «Wir haben mit dem von Ihnen genannten Mitarbeiter gesprochen, der dann am Schalter gearbeitet hat. Er kann sich nur noch vage an das Gespräch erinnern. Laut seiner Erinnerung war der Fall zu wenig dokumentiert, um eine Anzeige aufnehmen zu können, deshalb sei nicht rapportiert worden. Wir nehmen Ihre Anfrage zum Anlass, den Kenntnisstand bei unseren Mitarbeitenden bezüglich der Rassismusstrafnorm zu überprüfen.»
Diese Recherche wurde ermöglicht und finanziell unterstützt durch «investigativ.ch: Recherche-Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung».