Kampf gegen die Kolosse

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Auf der malerischen Insel Malta kämpfen Anwohnende gegen die Abgase und den Lärm riesiger Kreuzfahrtschiffe. Mittendrin: der kaum bekannte Schweizer Mega-Konzern MSC.

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Das Wichtigste in Kürze

  1. Seit 2020 besitzt der Schweizer Schifffahrts-Konzern MSC 50 Prozent der Palumbo-Werft in Malta. Nur wenige Meter von einem Wohnquartier entfernt, wartet und repariert er seine riesigen Kreuzfahrtschiffe.
  2. Das Problem: Weil die Schiffe nicht ans Landstromnetz angeschlossen werden können, lassen sie ihre Motoren auch in der Werft laufen – teils tagelang. Anwohnende erzählen von massiver Luft- sowie Lärmbelastung und haben Angst um ihre Gesundheit.
  3. Unsere Recherche zeigt: Seit dem Auftauchen von MSC hat die Belastung durch Kreuzfahrtschiffe massiv zugenommen.
  4. Die Messstation, die die Luftverschmutzung messen sollte, ist falsch platziert und fällt aussergewöhnlich oft aus.
  5. Erstmals publizierte Daten belegen: Im Distrikt, in dem sich die Werft befindet, werden deutlich mehr Asthma-Fälle diagnostiziert als ausserhalb.

Es ist ein Bild, so gegensätzlich, dass es surreal scheint. In einer kleinen Bucht in Malta stehen zwei riesige Kreuzfahrtschiffe, aus einem der Kamine steigt dunkler Rauch auf, dahinter, als wäre es eine Miniatur, die beigen Kalksteinhäuser der pittoresken Altstadt von Valletta.

Für Josianne Micallef ist diese Aussicht alltäglich. Sie lebt im Städtchen Senglea, einer Halbinsel gleich gegenüber der maltesischen Hauptstadt Valletta. Die Kreuzfahrtschiffe werden direkt vor ihrer Wohnung gewartet manchmal wochenlang.

Von ihrem kleinen Balkon sind es keine fünfzig Meter bis zur Mauer, die ihr Wohnquartier von der Palumbo-Werft trennt. «Das Wichtigste, das wir haben, ist unsere Gesundheit», sagt sie. «Die Schiffe bedrohen uns mit ihrem Rauch. Das ist alarmierend.»

Josianne Micallef ist 36 Jahre alt, leitende Angestellte im Marketing eines Finanzdienstleisters und wohnt seit zwei Jahren in Senglea. Das Städtchen befindet sich auf der Südseite des Grand Harbour, einer weitverzweigten Bucht, die schon Phöniziern oder Römern als Ankerplatz diente. Hier werden die Kreuzfahrtschiffe und Fähren gewartet und repariert, die auf der Nordseite anlegen. Wie in Valletta prägen auch in Senglea beige Kalksteingebäude mit bunten Fensterläden das Ortsbild. Das Städtchen wirkt wie eine kleine, etwas heruntergekommenere Kopie des Unesco-Welterbes. Die meisten Häuser sind so schmal, dass es keinen Platz für einen Aufzug hat. Josianne Micallef musste ihre Möbel über eine schmale Treppe in die Wohnung zügeln.

An diesem Abend im Juli ist es ausnahmsweise ruhig. Die Gastgeberin bringt kühles Wasser und Snacks aus der Küche, durch die Fenster des Wohnzimmers sieht man die gelben Kräne der Werft wie Mahnmale in der Ferne. Wenige Tage zuvor habe man sich hier nicht mehr unterhalten können, so laut seien die Wartungsarbeiten von morgens bis spät in die Nacht gewesen, sagt Micallef. «Der Lärm ist eine lästige Plage. Doch das grösste Problem sind die Abgase.»

Beim Kauf der Wohnung sei ihr bewusst gewesen, dass sie in eine Hafenregion zieht, dass Kreuzfahrtschiffe in Sichtweite einlaufen und gleich nebenan in der Werft gearbeitet wird. Was sie jedoch nicht ahnen konnte: Wie viel mehr Schiffe, viel mehr Dreck und Lärm in der kurzen Zeit, seit sie hier lebt, dazukommen würde.

So wie Josianne Micallef geht es auch ihren Nachbarinnen und Nachbarn. Sie sagen:

Die Luft, die wir atmen, ist giftig.

Früher öffneten wir die Fenster, um frische Luft reinzulassen. Jetzt schliessen wir sie, damit die Luft sauber bleibt.

Die Abgase füllen mein Haus mit Russ, sie machen uns Kopfschmerzen  und Atembeschwerden.

Es ist, als würde ein Lastwagen mit laufendem Motor im Wohnzimmer parken.

Mit einem Dutzend Bewohnerinnen und Bewohnern der Hafenregion konnten wir für diese Recherche sprechen. Sie alle erzählen vom Lärm, von der Luftverschmutzung und der Angst um ihre Gesundheit. Doch ausser Josianne Micallef hat sich niemand gewagt, mit Gesicht und Namen hinzustehen. Zu gefährlich, sagte man uns. Zu gross ist die Angst vor negativen Konsequenzen.

Wir wollten herausfinden, woher diese Angst kommt. Wie stark die gesundheitliche Belastung durch die Kreuzfahrtschiffe ist. Und welche Rolle der Schweizer Konzern spielt, dem die Werft gehört.

Die Menschen ziehen weg

Wer Malta hört, denkt an Sonne, Meer und malerische Häuser. Das kleinste und südlichste Land der EU lebt vom Tourismus: Zwischen 2016 und 2021 stieg die Anzahl jährlicher Besucherinnen und Besucher um mehr als das Doppelte auf 3,5 Millionen – eine grosse Zahl für ein Land, das kleiner ist als der Kanton Obwalden.

Doch Malta boomt nicht überall. Während die Bevölkerungszahl des Landes zwischen 2011 und 2021 um einen Viertel auf gut eine halbe Million gestiegen ist, ist sie in Senglea, wo Josianne Micallef wohnt, um über fünfzehn Prozent gesunken. Gemeinsam mit den beiden anderen Halbinseln Vittoriosa und Cospicua bildet das Städtchen die Three Cities, ein dicht besiedeltes Gebiet, das seit Jahrzehnten unter einem schlechten Ruf und politischer Vernachlässigung leidet. Trotz Sanierungsprojekten und der Belebung durch den Tourismus dominieren einkommensschwache Haushalte, die Grundstückspreise sind tief. Einer der Gründe dafür ist die Palumbo-Werft.

Im Frühjahr 2020 war bekannt geworden, dass MSC Cruises, eine Tochterfirma des Schweizer Schifffahrt-Konzerns Mediterranean Shipping Company MSC, die Hälfte der Palumbo-Werft übernimmt und diese fortan in einem Joint Venture mit der Palumbo Group betreibt. Für viele Anwohnenden ein Schock: Wenn der Schifffahrtsriese MSC einsteigt, so die Befürchtung, wird er hier auch seine riesigen Kreuzfahrtschiffe warten.

In einem offenen Brief wurden  der Premierminister und Parlamentsabgeordnete aufgefordert, die Beteiligung zu überprüfen und sicherzustellen, dass die bestehenden Probleme adressiert werden. Nötig seien vor allem ein Monitoring der Luft- und Lärmbelastung sowie eine neue Strominfrastruktur.  Denn der Grund dafür, dass Schiffe auch während der Reparatur und Wartung die Luft verschmutzen, ist die fehlende Anbindung ans Stromnetz an Land.

Um die Bordsysteme betreiben zu können, müssen die Kreuzfahrtschiffe ihre Generatoren laufen lassen. Diese stossen CO2, Feinstaub sowie Schwefel- und Stickstoffoxide aus.

Die Schwefelemissionen sind zwar nicht mehr so hoch wie früher – seit Anfang 2020  gibt es strengere internationale Regeln –  aber der Treibstoff ist noch immer viel giftiger als beispielsweise derjenige für Autos. Die Luftverschmutzung bleibt ein grosses Problem, wie ein aktueller Bericht der Organsiation Transport & Environment zeigt. Deshalb werden in Häfen und Werften rund ums Mittelmeer immer öfters Landstromanschlüsse installiert.

Nicht so in der von MSC und Palumbo betriebenen Werft. Hier ging die Politik nicht auf die Sorgen der Anwohnenden ein. Die Palumbo Group bezeichnete den Protestbrief als «nichts anderes als eine Provokation durch die üblichen Verdächtigen». Sollte es zum Deal kommen, werde dieser «nur positive wirtschaftliche Auswirkungen» haben. MSC blieb stumm, in der Schweiz wurde die Kontroverse nicht wahrgenommen. Wie so oft, wenn es um den hiesigen Giganten der Weltmeere geht.

Vom Schiffsjungen zum reichsten Schweizer

Es gibt wohl kein anderes Unternehmen in der Schweiz, das gleichzeitig so mächtig und unbekannt ist wie das Schifffahrtsunternehmen mit den drei Konsonanten. MSC hat mehr als 100’000 Angestellte und gegen 800 Hochseeschiffe. Der Jahresgewinn  während und kurz nach der Pandemie betrug geschätzte 27 Milliarden. Im April 2022 wurde bekannt, dass MSC die Bolloré Africa Logistics Group für fast 6 Milliarden Euro übernimmt – mit 21’000 Mitarbeitende in 42 Häfen, von Westafrika über Indien bis nach Haiti. Als «Deal of the Year“ bezeichnete The Africa Report die Übernahme.  In den Deutschschweizer Zeitungen hingegen: kein Wort.

Einzig in Genf weiss man etwas besser Bescheid über das Unternehmen. Hier steht der gläserne MSC-Hauptsitz inmitten der Villen und Parks des Quartiers Champel. Hier kennt man auch das Besitzerpaar Gianluigi und Rafaela Aponte.

Zwar gilt die Familie Aponte als äusserst diskret, Interviews sind selten und Umsatz- oder Gewinnzahlen kommuniziert das Unternehmen nicht. Doch seit einer Tamedia-Recherche im vergangenen Jahr weiss man, dass die Apontes die reichsten Schweizer sind.

Gianluigi Aponte (83) hat klein angefangen, als armer Schiffsjunge. Er arbeitete sich zum Kapitän hoch und kaufte 1970, mit geliehenen 200’000 Dollar, sein erstes Schiff. Mit Geschäftssinn und einer energischen Expansions-Strategie wurde aus dem Einmann-Unternehmen in nur fünfzig Jahren die grösste Schifffahrtsgesellschaft der Welt. Hunderte Firmen in unzähligen Ländern soll das Schweizer Unternehmen mittlerweile kontrollieren. Doch der Erfolg der Apontes belastet das  Klima: Die ganze Flotte stösst jährlich so viel CO₂ aus wie die ganze Schweiz.

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Der Schweizer Konzern dockt an

In Malta sehen sich die Anwohnenden drei Jahre nach dem MSC-Einstieg in ihren Befürchtungen bestätigt. Im Oktober 2020 lief erstmals eines der Kreuzfahrschiffe zur Wartung ein. «Seither haben sich die Lebensbedingungen hier stark verschlechtert», sagt ein  Anwohner. «Während des Lockdowns, der uns vor Atemwegsproblemen schützen sollte, hatten wir hier vier Kreuzfahrtschiffe, die rund um die Uhr Abgase ausstiessen.»

Vor dem Auftauchen der MSC-Schiffe sei man auf die Dächer gegangen, um mit den Kindern zu spielen und frische Luft zu schnappen, sagt eine andere Person. Doch das sei heute nicht mehr möglich.

Laut Martin Balzan, leitender Arzt für Atemwegserkrankungen im maltesischen Krankenhaus Mater Die, handelt es sich beim schwarzen Schiffsrauch um Feinstaub mit kohlenstoffhaltigen Aerosolen. In hoher Konzentration kann dieser Rauch Krankheiten verursachen.

Ein weiterer Arzt, dem die Situation der Anwohner Sorge bereitet, ist Joseph Tonna. Wir treffen den Allgemeinmediziner in seiner Praxis am Eingang zur Halbinsel Sengela. Von einem kurzen Auslandsaufenthalt abgesehen, hat der 64-Jährige sein ganzes Berufsleben in Malta verbracht.

Atemwegserkrankungen bei Kindern und Erwachsenen hätten in der Region drastisch zugenommen, sagt er. Zu Beginn seiner Karriere sei es fast ein Tabu gewesen, Medikamente zur Erweiterung der Bronchien zu verschreiben. «Jetzt stellen wir in der Praxis täglich Rezepte aus.»

Als er zum ersten Mal davon hörte, dass MSC den Hafen übernehme, habe er gleich darauf hingewiesen, dass der nötige Landstromanschluss fehle. Doch sein Einwand  sei auf taube Ohren gestossen. Zwar hat die maltesische Agentur für Infrastruktur dieses Jahr die Nordseite mit Landstromanschlüssen ausgestattet. Doch in der MSC/Palumbo-Werft ist nichts passiert. Auf unsere Frage, wann genau der Stromanschluss auch auf der Südseite komme, weicht die Behörde aus.  Die Sache sei «in Planung» schreibt sie.

Auf dem Weg zur Arbeit fahre er jeden Tag an der Werft vorbei, erzählt Doktor Tonna. Er sehe jeweils  bis zu drei Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig und frage sich: «Ist das der Grund für die zunehmenden Atemwegsprobleme?» Ohne verlässliche Zahlen könne er es nicht mit Sicherheit sagen.

Viele Fragen, keine Antworten        

Mit einem Mangel an zuverlässigen Informationen kämpft auch Yana Mintoff. Die 72-Jährige Ökonomin ist eine bekannte Figur in der Hafenregion, sie war lange Jahre Politikerin und ist die Tochter des einstigen Labour-Premiers Dom Mintoff. Seit vielen Jahren setzt sie sich gegen Armut und für die Anliegen der Bewohner ein – unter anderem in einer Gruppierung, in der auch Josianne Micallef aktiv ist. Gemeinsam wollen die Ökonomin und die Marketingfachfrau gegen die Belastung durch die Werft vorgehen und die Behörden zur Verantwortung ziehen. Bisher vergeblich: «Bei jedem Treffen stellen wir dieselben Fragen, ohne je Antworten zu bekommen», sagt Mintoff. Entweder würden sie an eine andere Behörde weiterverwiesen oder es heisse, man könne aufgrund fehlender Rechtsvorschriften nichts tun.

Die erfahrene Aktivistin nimmt an, die Behörden und Politiker machten nicht vorwärts, weil die Verantwortlichen der MSC/Palumbo-Werft sie beeinflussen.

«Sie laden Leute zum Essen ein und spenden Geld an Lokalpolitiker, den Regatta-Club, oder den Kulturverein», sagt sie. «Indem sie sich die Unterstützung der Leute sichern, versuchen sie, eine gemeinsame Kampagne gegen ihre Werft zu verhindern.»

So verwinkelt das System aus schmalen Gassen ist, das Malta überzieht, so undurchsichtig sind auch die gesellschaftlichen Strukturen. Filz, Klüngeleien und auch Korruption sind ein Problem. Eine, die dagegen vorgehen wollte, war die Journalistin Daphne Caruana Galizia. Als sie dabei war, verschiedene Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene aufzudecken, wurde sie mit einer Autobombe ermordet. Seit ihrem Tod hat sich in Sachen Transparenz wenig verändert. Im Korruptionsindex von Transparency international schneidet Malta gleich schlecht ab wie Saudi-Arabien oder Ruanda.

Es verwundert also wenig, dass die meisten Menschen, mit denen wir reden, nicht namentlich genannt werden wollen. Mehrere Gesprächspartner stellen den Verdacht auf, dass sich Vertreter lokaler Organisationen deshalb schweigen, weil ihr Fussballclub oder ihre Kirchgemeinde von der Werft finanziell unterstützt werde. Belegen können sie das nicht. Aber sie hätten selbst miterlebt, erzählen sie, dass Menschen, welche die Werft kritisierten, danach in den Vereinen oder der Kirchengemeinde gemieden und isoliert wurden.

Unter diesen Umständen war es für die Aktivistinnen bereits ein Erfolg, dass die maltesische Umweltbehörde ERA vor drei Jahren erstmals eine Messstation in Senglea aufstellte. Die seither gemessenen Werte liegen unter den EU-Grenzwerten für Schadstoffe in der Luft, doch das Vertrauen in die offiziellen Messungen ist laut Yana Mintoff klein. Die Daten, die dort erhoben werden, seien lückenhaft, weil die Station immer mal wieder ausfällt. Zudem ist die Messstation nach Ansicht der Anwohnenden falsch platziert.

Wie stark also hat die Belastung durch Kreuzfahrtschiffe tatsächlich zugenommen? Wie gut misst die Station der Behörden? Und welche Auswirkungen hat die Werft auf die Gesundheit der Anwohnenden? Um diese Fragen zu klären, haben wir verschiedene Daten ausgewertet und die Messstation von einem Experten prüfen lassen.

Mehr Schiffe, mehr Asthma

Es gibt nur wenige Menschen, die sich in Europas Häfen so gut auskennen wie Axel Friedrich. Der ehemalige Mitarbeiter des deutschen Umweltbundesamts wurde durch den VW-Abgasskandals bekannt, bei dessen Aufdeckung er eine zentrale Rolle spielte. Seit seiner Pensionierung gilt das Engagement des 75-Jährigen der sauberen Luft.

Seine aktuelle Mission: Axel Friedrich misst die Luftverschmutzung in den Häfen Europas, um für strengere Luftqualitätsvorschriften zu weibeln. Als der Umweltexperte im August in Malta weilt, schaut er sich die Lage rund um die Palumbo-Werft an. «Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Werft mitten in einem Wohnquartier sehe», sagt Friedrich. Die Menschen hier würden gleich doppelt belastet, einerseits durch die Emissionen der Werft, andererseits durch die in den Hafen ein- und auslaufenden Schiffe. Das sei aussergewöhnlich.

Aussergewöhnlich ist auch der Standort der offiziellen Messstation. Laut EU-Regelung müsste diese am Ort der höchsten Belastung stehen und möglichst dort, wo viele Menschen betroffen sind. Dies ist hier nicht der Fall. Sie steht bei den Gardjola Gardens, einem unbewohnten Aussichtspunkt an der Spitze der Halbinsel – weit weg von der Werft.

Für Friedrich ist daher klar: «Die Überwachung der Luftverschmutzung rund um die Werft muss besser werden.» Er sei überrascht, wie wenig zuverlässige Daten vorhanden seien. «Nur wenn die Behörden sauber messen, lässt sich der Vorwurf entkräften, dass die Gesundheit der Menschen geschädigt wird.» Unsere Auswertung der Daten der maltesischen Behörde für Umwelt und Ressourcen zeigt: Zwischen Juni 2020 und Dezember 2021 ist die Messstation aussergewöhnlich oft ausgefallen – nur in 45 Prozent aller Zeitpunkte konnten alle nötigen Werte gemessen werden. 

Zudem können wir aufzeigen, dass die Belastung durch Kreuzfahrtschiffe seit der Übernahme durch MSC deutlich zugenommen hat. Basierend auf Daten des Schiffsverfolgungsdienstes vesselfinder.com haben wir alle Schiffsbewegungen in der Palumbo-Werft zwischen Mitte 2018 und Mitte 2023 analysiert. Was dabei besonders auffällt: Von 2019 auf 2021 hat sich die Anzahl Stunden, während der sich Kreuzfahrtschiffe und Kreuzfahrtfähren in der Werft befanden, mehr als verdoppelt. Während im Jahr 2019 nur drei Kreuzfahrtschiffe mehr als zwei Wochen in der Werft gewartet wurden, waren es 2021 dreizehn. Im Rekordjahr gab es kaum einen Tag, an dem kein Kreuzfahrtschiff in der Werft lag. Im vergangenen Jahr hat die Belastung leicht abgenommen, die Werte bleiben aber deutlich über denen von vor 2020. Splendida, Musica, Preziosa, Divina, Orchestra oder Fantasia – all die Kreuzfahrtschiffe mit ihren wohlklingenden Namen bleiben eine Qual für die Bewohner und Bewohnerinnen des Städtchens.

Es ist bekannt, dass das Leben in der Nähe stark befahrener Häfen krank machen kann, dies belegen mittlerweile mehrere Studien. So konnte in einer Kohortenstudie aus dem Jahr 2019 ein Zusammenhang zwischen der langfristigen Belastung durch Feinstaub und frühzeitigen Todesfällen in verschiedenen Hafenstädten am Mittelmeer nachgewiesen werden. Eine andere Studie kam zum Schluss, dass Anwohnende des italienischen Hafens Civitavecchia ein erhöhtes Lungenkrebs-Risiko aufweisen. Die gesundheitliche Belastung durch den Schiffverkehr in Malta wurde bislang nicht untersucht. Wir haben deshalb bei den maltesischen Behörden Statistiken zum Auftreten von Atemwegserkrankungen angefordert. Besonders aussagekräftig sind die Zahlen zur chronischen Atemwegserkrankung Asthma.

Anteilsmässig verzeichnete der Southern Harbour District, in dem sich Senglea und die Werft befinden, in den Jahren 2021 und 2022, also nach der Ankunft von MSC, massiv mehr Asthma-Diagnosen als die anderen fünf statistischen Distrikte. 2022 erreichte die Anzahl Diagnosen pro 1000 Personen sogar einen absoluten Höchstwert über alle Jahre und Distrikte hinweg. Im Pandemie-Jahr 2021, als auf der ganzen Insel deutlich weniger Autos und Schiffe unterwegs waren, sind die Werte in allen Regionen stark gesunken – ausser im Southern Harbour District, wo die Kreuzfahrtschiffe wochenlang gewartet und repariert wurden.

Nachdem wir diverse Zahlen ausgewertet und Statistiken verglichen haben, treffen wir uns erneut mit Joseph Tonna, dem Arzt, der sich um die Bronchien und Lungen seiner Patientinnen und Patienten sorgt. Für ihn bestätigen die Daten seine Befürchtungen. «Wenn aus den Daten hervorgeht, dass ausgerechnet in Senglea vermehrt Asthma-Fälle auftreten, dürfte die Werft mitverantwortlich sein», sagt er.

Wir konfrontieren MSC und Palumbo mit den Ergebnissen unserer Recherche und den Vorwürfen der Anwohnerinnen und Anwohner. MSC Cruises geht nicht näher auf die einzelnen Punkte ein und antwortet mit einem allgemeinen Statement. «Wir arbeiten daran, dass die Gemeinden, in denen wir tätig sind, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und ökologisch profitieren», schreibt das Unternehmen. Man setze auf Innovationen zur Reduzierung von Emissionen. Niederspannungs-Landstrom für Frachtschiffe sei in der Palumbo-Werft vorhanden, man «unterstütze dessen Gebrauch, wo immer möglich».

Was den für den Betrieb der Kreuzfahrtschiffe benötigten Hochspannungs-Landstrom betrifft, sei man «stolz zu sagen», dass die Kabel verlegt worden seien und «in Kürze aktiviert werden, vorbehaltlich der Zustimmung durch die lokalen Behörden», schreibt MSC Cruises. Mit der Massnahme wolle man die Luftqualität vor Ort verbessern und den Lärm erheblich reduzieren.

Auch MSC-Partner Palumbo Group verweist auf das Ausbau-Projekt der maltesischen Agentur für Infrastruktur und hält fest, man unterstütze «alle Projekte, die zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen». Ein konkretes Datum für die Inbetriebnahme der Landstromsanschlüsse nennt keines der beiden Unternehmen.

Dass das Landstrom-Projekt vielleicht irgendwann realisiert wird, gebe ihr etwas Hoffnung, sagt Josianne Micallef. Die Frau, die unter den Schiffen vor ihrem Fenster leidet, wäre MSC und die Werft am liebsten ganz los. Doch weil sie daran nicht glaubt, will sie weiterhin Druck auf die Unternehmen und die Politik machen. «Eigentlich ist es ganz einfach», sagt sie. «Wir wollen zuverlässige Informationen. Und wir wollen vor den Abgasen dieser Riesenschiffe geschützt werden.»

Damit sie irgendwann auf ihrem Balkon wieder tief Luft holen kann.

 

Dieser Artikel ist mit Unterstützung von Journalismfund Europe entstanden.

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Julian Delia

Recherche & Text

Joanna Demarco

Recherche & Fotografie

Christian Zeier

Recherche & Text

Valentin Felber

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Florian Spring

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Stirling Tschan

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